11. Februar 2019
Die SPD will Hartz IV überwinden und hat dazu am 10. Februar ein sozialpolitisches Reformpapier beschlossen. O-Ton Arbeitsmarkt nimmt die SPD-Pläne unter die Lupe.
„Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit: Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit“ – so heißt das Reformpapier, das der SPD-Partievorstand am 10. Februar 2019 beschlossen hat. Nach offiziellen Aussagen will sich die Partei damit von den sogenannten „Hartz-IV-Reformen“ der Agenda 2010 verabschieden und wieder mehr Wählerstimmen für sich gewinnen. Statt Hartz IV, eigentlich Arbeitslosengeld II, sollen Hilfebedürftige und Arbeitslose ein sogenanntes „Bürgergeld“ erhalten. Doch ein genauer Blick verrät, dass die Kernelemente von Hartz IV auch im Bürgergeld bestehen bleiben.
Sanktionen auch beim Bürgergeld
Wer gehofft hat, dass mit Hartz IV auch die hoch umstrittenen Sanktionen abgeschafft werden, wird von den Reformplänen der SPD enttäuscht werden. Grundsätzlich sollen die Mitwirkungspflichten von Beziehern der Sozialleistung und damit auch die Möglichkeit zur Sanktion auch in Zukunft erhalten bleiben. „Sinnwidrige und unwürdige Sanktionen“ möchte die SPD abschaffen. Damit sind einerseits die schärferen Sanktionsbestimmungen für unter 25-Jährige und andererseits Vollsanktionen sowie eine Kürzung der Wohnkosten gemeint. Damit würden Beziehenden des Bürgergelds zwar geringere Kürzungen drohen, doch die von vielen erhoffte endgültige Abkehr von den Leistungskürzungen bleibt aus.
Weniger Fordern, mehr Fördern?
Der Hartz-IV-Grundsatz des „Fördern und Forderns“ findet sich ebenfalls im Bürgergeld wieder. Im Reformpapier begründet die SPD die Mitwirkungspflichten von Leistungsbeziehern mit ihrer Verantwortung gegenüber der Solidargemeinschaft. Da sich keine gegenteiligen Aussagen im Papier finden lassen, ist davon auszugehen, dass sich diese Pflichten auch auf die Aufnahme jeder zumutbaren Arbeit und Teilnahme an Maßnahmen erstrecken werden. Ein Qualifikations- und Berufsschutz ist in der Arbeitsvermittlung also weiter nicht vorgesehen.
Die Eingliederungsvereinbarung, in der im bestehenden System die Rechte und Pflichten von Hartz-IV-Beziehern mit Rechtsfolgen festgeschrieben werden, soll nach Wunsch der SPD durch eine „Teilhabevereinbarung“ ersetzt werden. Diese soll „auf Augenhöhe“ und unter Berücksichtigung der Interessen der Bürgergeldbezieher geschlossen werden. Ein tatsächliches Mitspracherecht würden die Bezieher damit allerdings nicht erhalten, weil die Möglichkeit zur Sanktion auch beim Bezug von Bürgergeld ihre strukturelle Unterlegenheit in der Arbeitsvermittlung zementiert.
Die Waagschale zwischen Fördern und Fordern soll laut Reformpapier dennoch zugunsten des Förderns austariert werden. Die SPD will Bürgern ein Recht auf Arbeit zusprechen. Dieses sollen sie entweder auf einem sozialen Arbeitsmarkt oder in Form von vollqualifizierenden Maßnahmen wahrnehmen können. Dazu will die SPD eine zweijährige „Schutzzeit“ für Bezieher des Bürgergelds einführen – allerdings nur für diejenigen, die zuvor Arbeitslosengeld I aus der Arbeitslosenversicherung erhalten haben. In dieser Zeit müssen sich diese ausgewählten Leistungsbezieher keiner Überprüfung ihres Vermögens oder ihrer Wohnungsgröße unterziehen.
„Aufstocker“ wechseln in die Betreuung der Arbeitsagentur
Zuletzt will die SPD einen Teil der heutigen Hartz-IV-Bezieher in die „Betreuung“ der Bundesagentur für Arbeit (BA) übergeben. Aktuell werden erwerbstätige Hartz-IV-Bezieher, die ihr Einkommen mit Arbeitslosengeld II aufstocken, von den Jobcentern betreut (O-Ton berichtete). Diejenigen Aufstocker, die sozialversicherungspflichtig tätig und somit Beitragszahler in der Arbeitslosenversicherung sind, würden beim Bezug von Bürgergeld in die Zuständigkeit der BA wechseln. Ihre Zahl lag im September 2018 bei knapp 570.000.
Offen ist, ob die BA dann ausschließlich für das Fallmanagement der Aufstocker oder auch für die Zahlung der aufstockenden Leistungen zuständig wäre. In jedem Fall wären hier neue bürokratische Schnittstellen und damit ein erheblicher Aufwand auf Seite der Verwaltung zu erwarten – in diesem Sinne würde der Entwurf der SPD sogar Mehrarbeit schaffen, angesichts der aktuell schon ausufernden Verwaltungskosten der Jobcenter ist das aber eine kaum erstrebenswerte Perspektive (O-Ton berichtete).
von Lena Becher
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