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Vergabepraxis der Jobcenter: Bundesrechnungshof kritisiert Zuweisungen in Maßnahmen

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Stecken Mitarbeiter in den Jobcentern Arbeitslose absichtlich in unnötige Maßnahmen? Der Bundesrechnungshof hatte die unwirtschaftliche Vergabepraxis der Jobcenter zuletzt kritisiert. Dennoch wäre es verkürzt, die Schuldigen an den Schreibtischen der Arbeitsvermittlung zu suchen.

Laut Bundesrechnungshof entstehen jährlich bis zu 190 Millionen Euro Schaden durch unnötige und unpassende Zuweisungen von Hartz-IV-Empfängern in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Dies berichtete am 25. März 2018 der „Tagesspiegel“ im Artikel „Langzeitarbeitslose: Hauptsache raus aus der Statistik“.

Fehlanreize in den Jobcentern?

Doch wie kommt es zu diesen „unnötigen“ Zuweisungen? Im Tagesspiegel-Artikel wird ein Bezug zwischen der mangelhaften Vergabe- und Zuweisungspraxis der Jobcenter mit finanziellen Fehlanreizen für die Mitarbeiter der Jobcenter hergestellt: Jobcenter würden zu viele Plätze für Maßnahmen bei einem Weiterbildungsträger einkaufen, weil die Bedarfe von den Beschäftigten im Jobcenter falsch ermittelt werden. Zusätzlich würde eine hohe Teilnehmerzahl in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen die Arbeitslosenzahl künstlich senken (O-Ton berichtete).

Das Personal sei dazu angehalten, die Plätze in eingekauften Maßnahmen möglichst vollständig zu besetzen. Der Tagesspiegel schreibt weiter, dass die Mitarbeiter diese Vorgabe ohne Rücksicht auf die individuellen Förderbedarfe der Arbeitslosen umsetzen, damit sie von ihren Vorgesetzten positive Beurteilungen erfahren. Führungskräfte der Jobcenter würden sogar Prämien für die Zielerreichung erhalten.

Komplexe Gründe für Missstände

Bei all der berechtigten Kritik an der Vergabe- und Zuweisungspraxis wäre es falsch, das Personal in den Jobcentern als Verursacher für die Problematik zu identifizieren. Denn die Lage in den Jobcentern ist weitaus komplexer, als es die Darstellung im Tagesspiegel vermuten lässt. Jobcenter müssen mehreren, zum Teil gegenläufigen Anforderungen gerecht werden: Sie sollen die vorhandenen Mittel möglichst vollständig ausschöpfen, beidseitig attraktiv und wirtschaftlich Maßnahmen an Träger vergeben und passgenaue Förderungen für Arbeitslose ermöglichen.

Es ist durchaus nachvollziehbar, dass Träger aus Gründen der Wirtschaftlichkeit für das Zustandekommen einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme Mindestanforderungen an die Teilnehmerzahlen stellen. Aus der Perspektive der Jobcenter ist umgekehrt von höchster Priorität, das Budget für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen möglichst vollständig auszuschöpfen, da sie sonst eine Reduzierung der verfügbaren Fördermittel befürchten müssten. Kürzungen im Bundeshaushalt und Umschichtungen in das Verwaltungsbudget der Jobcenter haben die Mittel für arbeitsmarktpolitische Förderung in den letzten Jahren deutlich schrumpfen lassen (O-Ton berichtete).

Auch ist die Vermutung, dass mit der Zuweisung in „Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung“ (MAbE) die Zahl der Langzeitarbeitslosen geschönt wird, in vielen Fällen falsch. Nur bei der Teilnahme an einer Maßnahme, die mehr als sechs Wochen dauert, wird die statistische Berechnung von (Langzeit-)Arbeitslosigkeit unterbrochen. Ein Langzeitarbeitsloser, der beispielsweise an einem viertägigen Bewerbungstraining teilnimmt, zählt zwar während der Maßnahme nicht als arbeitslos, wird danach aber wieder als Langzeitarbeitsloser in der Statistik erfasst.

Bundesrechnungshof: Maßnahmen unpassend und nicht zielführend

Eine stichprobenartige Untersuchung des Bundesrechnungshofs hatte ergeben, dass bei der Vergabe von 617 Plätzen in 35 Kursen in 182 Fällen die gewählte arbeitsmarktpolitische Maßnahme nicht zielführend im Sinne der individuellen „Eingliederungsstrategie“ gewesen sei. In 212 Fällen wären die „Kunden“ der Jobcenter nicht ausreichend über den Zweck der Teilnahme informiert worden und drei von zehn Teilnehmenden hätten „bereits eine oder mehrere vergleichbare Maßnahmen absolviert“.

Wie lässt sich demnach die Situation bei der Vergabe und Zuweisung von Maßnahmen verbessern? Ein möglicher Ansatz wäre zunächst einmal transparente Verfahren zur Bedarfsermittlung einzuführen, die sich an der jeweiligen regionalen Struktur der Arbeitslosigkeit orientieren. Weiterhin könnte eine Abschaffung von Sanktionsandrohung bei der Zuweisung die Auswahl passgenauer Maßnahmen erleichtern. Träger und Jobcenter müssten in diesem Fall stärker dafür Sorge tragen, dass sie arbeitslosen und nicht arbeitslosen Hartz-IV-Empfängern attraktive Aktivierungs- und Qualifikationsangebote unterbreiten können. Bei der richtigen Auswahl der passenden Fördermittel dürfte es den Jobcentern dann auch nicht schwerfallen, ihre Vergabe so zu begründen, dass sie einer Überprüfung durch den Bundesrechnungshof standhalten.

von Lena Becher

 

 

Zum Weiterlesen:

Bundesrechnungshof: Arbeitsagenturen verschwenden Millionen für Bildungskurse, in: Spiegel Online, 26.03.2018.

Hoffmann, Hannes; Honey, Christian, Langzeitarbeitslose: Jobcenter stecken Klienten in Kurse – um eigene Ziele zu erreichen, in: Der Tagesspiegel, 26.03.2018.

O-Ton Arbeitsmarkt, Haushalt 2018: Mehr oder weniger Fördergelder für Hartz-IV-Empfänger?, 26.01.2018.

Sell, Stefan, Die Chancen einer wirklichen Reform des Vergaberechts nutzen, um das Qualitäts- und Lohndumping bei Arbeitsmarktdienstleistungen aufzuhalten und umzukehren, in: Aktuelle Sozialpolitik, 09.11.2015.