3. Juli 2013
(o-ton) Zum 1. Juli 2013 hat der Landkreis Heilbronn die letzten 80 „Ein-Euro-Jobs“ gestrichen. Die Teilnehmer beim Beschäftigungsträger Aufbaugilde trugen sie symbolisch zu Grabe. Sie protestierten damit gegen die Kürzungen und für ihr Recht auf Arbeit.
Mitte Juni richtete die Aufbaugilde Heilbronn eine Beerdigung aus. Sarg, letzte Worte von Dekan i.R. Peter Pfitzenmaier, der obligatorische Leichenschmaus, alles ganz klassisch. Doch um wen oder besser gesagt was es hier ging, ist ungewöhnlich, denn beerdigt wurden die letzten 80 „Ein-Euro-Jobs“ des Landkreises.
Würde, Gesundheit, Selbstbewusstsein werden mit begraben
In dem eigens gefertigten Sarg trugen die letzten Maßnahmenteilnehmer ihre „Ein-Euro-Jobs“ symbolisch zu Grabe. Mit dieser Aktion protestierten sie gegen die Sparmaßnahmen bei der Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose. Für sie bedeutet ihr „Ein-Euro-Job“ mehr als nur ein wenig mehr Geld auf dem Konto. Sie verbinden damit Würde, Hoffnung, Selbstbewusstsein, Gesundheit, Wertschätzung und mehr. Werte, die sie auf beschrifteten Zetteln mit ins Grab werfen. Denn „ein Leben in Würde ist in unserer Gesellschaft mit einer Beschäftigung verbunden“, fasst Hans-Jörg Apprich, Vorstandsvorsitzender der Aufbaugilde, zusammen. Das unterstützt auch die IST-Studie des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik. Sie zeigt: Für die Teilnehmer an „Ein-Euro-Jobs“ zählt vor allem das Gefühl, wieder Teil der Gesellschaft zu sein (O-Ton berichtete).
Wilhelmine Henkel, eine der letzten „Ein-Euro-Jobberinnen“ des Landkreises Heilbronn, kann das nur bestätigen. Angesprochen auf das Ende ihrer Maßnahme bricht die 56-Jährige in Tränen aus. „Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Kein Arbeitgeber gibt mir mehr eine Chance“, sagt sie. „Ich bin zu alt und habe Probleme mit dem Rücken und den Beinen.“
Auch Renée Schröder ist den Tränen nahe, als sie erklärt, was das Ende ihres „Ein-Euro-Jobs“ für sie bedeutet. Die 54-Jährige hat in ihrem Leben nie einen schulischen oder beruflichen Abschluss erreicht. In ihrer Jugend war sie alkoholkrank. Heute ist sie stark kurzsichtig, bei minus 25 Dioptrien sieht sie kaum mehr etwas. Hinzu kommt eine Thrombose, Probleme mit der Wirbelsäule und Suizidgefahr. „Wenn das hier zu Ende geht und ich wieder den ganzen Tag zu Hause sitze, habe ich Angst, dass ich wieder auf dumme Gedanken komme“, sagt sie.
Andere geben sich kämpferisch. Die 54-Jährige Elvira Münch hat Widerspruch beim Jobcenter eingereicht. Ihre Maßnahme hat erst im Februar begonnen. Nach über 15 Jahren Akkordarbeit machte ihr Körper nicht mehr mit. Eine andere Arbeit fand sie nicht. Und nun ist nach fünf Monaten schon wieder Schluss mit dem „Ein-Euro-Job“. „Ich lass‘ mir das nicht bieten, dass man mich einfach so rausreißt aus meiner Maßnahme“, sagt sie wütend. „Die Politik muss verstehen, dass das hier keine Hängematte ist, sondern ein Aufzug, der nach oben geht.“
Von über 500 auf 70 „Ein-Euro-Jobber“ zwischen 2010 und 2013
70 Plätze für „Ein-Euro-Jobber“ bleiben der Aufbaugilde nun noch. Sie finanziert das Jobcenter Heilbronn. „2010 waren es noch über 500“, illustriert Hannes Finkbeiner, Geschäftsführer der Aufbaugilde, die extremen Einsparungen von Seiten der Politik. Und auch bei den letzten 70 ist unklar, ob es weitergeht. Hannes Finkbeiner befürchtet, dass auch sie über kurz oder lang den Sparmaßnahmen zum Opfer fallen werden.
Wie es dann weitergeht? Bei den Teilnehmern herrscht Ratlosigkeit. Manche wollen ehrenamtlich weitermachen. So wie Volker Frank. Der 49-Jährige ist seit fast zwei Jahren bei der Aufbaugilde. Für das Sozialkaufhaus baut er Möbel auf und ab. Als seine Eltern vor drei Jahren kurz nacheinander starben, geriet sein Leben aus den Fugen. Er wurde depressiv und alkoholabhängig, verlor seinen Arbeitsplatz als Lackierer und seine Ehe ging in die Brüche. „Seit ich hier bin, habe ich aber keinen Gedanken mehr an Alkohol gehabt. Ich fühle mich stabil“, sagt er.
Im Landkreis Heilbronn ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen zuletzt wieder gestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr hat ihre Zahl um 8,5 Prozent zugenommen. Die Reduzierung der Fördermittel läuft also der Entwicklung am Arbeitsmarkt zuwider. „Dass wir diesen Menschen nun bald nicht mehr helfen können, wollen wir nicht einfach hinnehmen“, sagt Hannes Finkbeiner. „Mit unserer Aktion wollen wir politischen Druck aufbauen und deutlich machen, dass aktive Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose weiterhin gebraucht wird.“
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