Freie Wohlfahrtspflege Nordrhein-Westfalen und Institut für Bildungs- und Sozialpolitik legen ersten Arbeitslosenreport vor

(o-ton) Mit ihrem „Arbeitslosenreport NRW“ macht die Freie Wohlfahrtspflege verstärkt auf die problematische Lage Langzeitarbeitsloser am nordrhein-westfälischen Arbeitsmarkt aufmerksam und protestiert gleichzeitig gegen die Sparmaßnahmen der Bundesregierung. Der Report wird gemeinsam mit dem Institut für Bildungs- und Sozialpolitik (IBUS) erarbeitet und ab sofort quartalsweise veröffentlicht.   

Die Wohlfahrtsverbände sind alarmiert: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Nordrhein-Westfalen nimmt stark zu. Sie ist in den vergangenen zwei Jahren (jeweils Daten aus Oktober) um 7,5 Prozent gestiegen – auf aktuell mehr als 320.000 Menschen. Das geht aus dem „Arbeitslosenreport NRW“ hervor, den die Verbände jetzt zusammen mit dem Arbeitsmarktforscher Prof. Stefan Sell erstmals veröffentlicht haben. Vom Land fordern die Verbände, die Möglichkeiten für öffentlich geförderte Beschäftigung auszubauen.

„Die offizielle Berichterstattung blendet beunruhigende Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt systematisch aus“, sagt Hermann Zaum, Vorsitzender der Freien Wohlfahrtspflege NRW. Allen Jubelmeldungen zum Trotz gingen die vermeintlich oder tatsächlich positiven Arbeitsmarkt-Trends an einigen Personengruppen komplett vorbei. Anstatt sich dieser Problematik zu stellen, konzentrierten sich Politik und auch viele Jobcenter auf die leichter zu vermittelnden Fälle. Das sei ein Skandal und Zeichen arbeitsmarktpolitischer Ignoranz.

Diese Einschätzung teilt auch der Arbeitsmarktforscher Prof. Stefan Sell: „Wir erleben derzeit, wie sich ein Zweiklassen-System der Arbeitslosigkeit entwickelt. Einerseits sinkt die Zahl der Arbeitslosen, die Arbeitslosengeld I beziehen. Andererseits stecken inzwischen fast drei Viertel aller Arbeitslosen im Hartz IV-System fest. Das sind immerhin über eine halbe Million Menschen in NRW.“

Arbeit zu haben ist nach Auffassung der Wohlfahrtsverbände eine wesentliche Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Dass Hunderttausenden diese Teilhabe vorenthalten wird, wollen die Verbände nicht hinnehmen. All jene, die kurzfristig kaum eine Chance auf einen regulären Job haben, brauchen passgenaue und verlässliche Förderangebote. Angebote, bei denen die Politik in den vergangenen Jahren jedoch konsequent den Rotstift angesetzt hat. „Um Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist es mit einer einmaligen Qualifizierung oder gar einem Bewerbungstraining nicht getan. Für sie brauchen wir mehrjährige Konzepte und öffentlich geförderte Beschäftigung“, so Zaum.

Die Wohlfahrtsverbände NRW fordern die neue Bundesregierung auf, die Mittelkürzungen für  entsprechende Förderangebote der Bundesagentur für Arbeit zurückzunehmen. Doch nicht nur den Bund sehen die Verbände in der Pflicht. Zaum: „Die rot-grüne Landesregierung hat die Bedeutung von öffentlich geförderter Beschäftigung, also eines Sozialen Arbeitsmarktes, in ihrem Koalitionsvertrag hervorgehoben. Nun ist es an der Zeit, dass sie mehr dafür tut!“

Die Wohlfahrtsverbände in NRW veröffentlichen künftig einmal pro Quartal den „Arbeitslosenreport NRW“. Darin enthalten sind aktuelle Zahlen und Analysen für Nordrhein-Westfalen; Basis sind Daten der offiziellen Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit. Jede Ausgabe widmet sich einem Schwerpunktthema. Hinzu kommen Kennzahlen zu Unterbeschäftigung, Langzeitarbeitslosigkeit und SBGII-Hilfequoten, um längerfristige Entwicklungen sichtbar zu machen. Der Arbeitslosenreport NRW sowie übersichtliche Datenblätter mit örtlichen Zahlen können im Internet unter www.arbeitslosenreport-nrw.de heruntergeladen werden.

Der Arbeitslosenreport NRW ist ein Kooperationsprojekt der Freien Wohlfahrtspflege NRW mit dem Institut für Bildungs- und Sozialpolitik (IBUS) der Hochschule Koblenz. Ziel der regelmäßigen Veröffentlichung ist es, den öffentlichen Fokus auf das Thema Arbeitslosigkeit als wesentliche Ursache von Armut und sozialer Ausgrenzung zu lenken, die offizielle Arbeitsmarkt-Berichterstattung kritisch zu hinterfragen und dabei insbesondere die Situation in Nordrhein-Westfalen zu beleuchten.

Zum Weiterlesen:

Freie Wohlfahrtspflege NRW, Arbeitslosenreport NRW

Aus Arbeitslosigkeit in Arbeit? Nur jeder dritte vormals Arbeitslose findet einen Job

(o-ton) Nur etwa jeder dritte Arbeitslose, der im September 2013 seine Arbeitslosigkeit beendete, fand auch tatsächlich einen Arbeitsplatz oder machte sich selbstständig. Alle anderen zählten nicht mehr zu den Arbeitslosen, weil sie beispielsweise eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme begannen oder dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung standen. Von den vormals Arbeitslosen, die tatsächlich in Arbeit kommen, landen überdurchschnittlich viele in der Leiharbeit. Dort herrscht ein stetiges Kommen und Gehen, besonders von „Hartz IV“-Empfängern.

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Forscher der Hochschule Koblenz berechnen: 435.000 Menschen in Deutschland nahezu chancenlos am Arbeitsmarkt

(o-ton) Gibt es noch eine Zielgruppe für öffentlich geförderte Beschäftigung? Wenn ja, wer sind diese am Arbeitsmarkt nahezu chancenlosen Menschen und wie viele? Wissenschaftler des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik (IBUS) sind dieser Fragen nachgegangen. Sie haben den potentiellen Personenkreis definiert und seine Größe auf Basis des Panels Arbeitsmarkt und Soziale Sicherung (PASS) berechnet. Das Ergebnis: Mehr als 435.000 Menschen in Deutschland sind so „arbeitsmarktfern“, dass ihre Chancen auf einen regulären Arbeitsplatz gegen Null gehen. Gleichzeitig zeigen diese Menschen eine hohe Arbeitsmotivation und fühlen sich zunehmend gesellschaftlich ausgegrenzt. Zusammen mit ihnen leben mehr als 300.000 Kinder, die von der Situation ihrer Eltern betroffen sind.

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42 Millionen Erwerbstätige sind nicht gleich 42 Millionen „normal“ Beschäftigte

(o-ton) Im September 2013 waren laut Statistischem Bundesamt 42,1 Millionen Menschen erwerbstätig. Doch als Erwerbstätigkeit definiert die Statistikbehörde jedwede entlohnte Beschäftigung von mehr als einer Wochenstunde. Die mehr als 42 Millionen Erwerbstätigen stehen also keinesfalls allesamt in einem „normalen“, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis. Zu ihnen zählen unter anderem auch Mini- und Ein-Euro-Jobber sowie bezahlte Praktikanten.

„Im September 2013 waren … insgesamt 42,1 Millionen Personen mit Wohnort in Deutschland erwerbstätig. Damit wurde zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung Deutschlands die 42 Millionen-Marke überschritten.“ Diese Jubelmeldung verbreitete das Statistische Bundesamt (Destatis) gestern.

Doch wer bei über 42 Millionen Erwerbstätigen an 42 Millionen Menschen mit einem „normalen“, also sozialversicherungspflichtigen Voll- oder Teilzeitjob denkt, liegt daneben. Denn das Statistische Bundesamt definiert als Erwerbstätige alle über 15-Jährigen, die irgendeiner Art von Arbeit nachgehen. Entscheidend ist, dass sie „in der Berichtswoche zumindest eine Stunde gegen Entgelt (Lohn, Gehalt) oder als Selbständige bzw. als mithelfende Familienangehörige gearbeitet haben oder in einem Ausbildungsverhältnis stehen.“ Zudem ist es unerheblich, „ob es sich bei der Tätigkeit um eine regelmäßig oder nur gelegentlich ausgeübte Tätigkeit handelt.“ Entsprechend gehören beispielsweise auch ausschließlich geringfügig Beschäftigte, bezahlte Praktikanten, Freiwilligendienstleistende und Ein-Euro-Jobber zu den Erwerbstätigen gemäß Destatis.

Für die über 42 Millionen Erwerbstätigen im September 2013 bedeutet das: Etwa 37,5 der 42,1 Millionen (89,2 Prozent) zählen zu den Arbeitnehmern. Die übrigen etwa 4,5 Millionen beziehungsweise 10,8 Prozent sind Selbstständige oder mithelfende Familienangehörige (Berechnung auf Basis der noch unveröffentlichten Quartalswerte 3/2013 des Statistischen Bundesamtes). Und: 37,5 Millionen Arbeitnehmer sind nicht gleich 37,5 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Denn ihre Zahl lag gemäß Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) im August 2013 (aktuellste verfügbare Daten) bei 29,5 Millionen Menschen. Die Differenz von insgesamt acht Millionen Menschen verteilt sich neben den Beamten unter anderem auf ausschließlich geringfügig Beschäftigte – gemäß Zahlen der Bundesagentur für Arbeit 4,78 Millionen Menschen im August 2013 –, Ein-Euro-Jobber, bezahlte Praktikanten und Freiwilligendienstleistende.

Mehr Menschen arbeiten, aber die Pro-Kopf-Arbeitsstunden sinken

Das Wachstum bei den Erwerbstätigen beruht auch auf einem Zuwachs bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Im August 2013 stieg sie um 353.000 Personen oder 1,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dieser Zuwachs wurde jedoch stärker von Teilzeit- als von Vollzeitbeschäftigten getragen. Die Teilzeitbeschäftigung nahm im August 2013 um 182.000 Personen beziehungsweise 2,5 Prozent zu und stieg damit stärker als die Vollzeitbeschäftigung (+171.000 oder 0,8 Prozent). Inzwischen ist jeder vierte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (25 Prozent beziehungsweise 7,52 Millionen Menschen) in Deutschland teilzeitbeschäftigt.

Damit einher geht auch eine sinkende Pro-Kopf-Arbeitszeit. 2011 arbeitete ein Erwerbstätiger durchschnittlich 1.406 Stunden pro Jahr. 2012 ist die Zahl auf 1.397 Stunden gesunken. Mit Ausnahme des Jahres 2009, in dem aufgrund der Wirtschaftskrise verstärkt Kurzarbeit eingesetzt wurde, sinken die Pro-Kopf-Arbeitsstunden damit seit Jahren kontinuierlich. So arbeiten zwar immer mehr Menschen, pro Kopf aber offenbar immer weniger – also häufiger in Jobs mit einer geringeren wöchentlichen Arbeitszeit, zum Beispiel in Teilzeit. Die vorhandene Arbeit scheint sich also lediglich auf mehr Köpfe zu verteilen. (O-Ton berichtete)

Zum Weiterlesen:

Statistisches Bundesamt, Arbeitsmarkt im September 2013: Erstmals mehr als 42 Millionen Erwerbstätige

Bundesagentur für Arbeit, Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland (Oktober 2013), S.9

Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarkt in Zahlen. Beschäftigungsstatistik S.4

Statistisches Bundesamt, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Inlandsproduktberechnung, Fachserie 18, Reihe 1.2, 4.

Arbeitsmarkt im Oktober: Mehr als 3,6 Millionen Menschen ohne Arbeit

(o-ton) Im Oktober ist die Zahl der Arbeitslosen leicht auf 2,8 Millionen gesunken. Das gesamte Ausmaß der Menschen ohne Arbeit bildet die Zahl der Arbeitslosen allerdings nicht ab. Denn Monat für Monat filtert die Bundesagentur für Arbeit tatsächlich Arbeitslose aus der Arbeitslosenzahl und führt sie in der Kategorie Unterbeschäftigung. Im Oktober über 840.000 Menschen nur deshalb, weil sie etwa an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teilnahmen, zum Zeitpunkt der Erfassung krankgeschrieben waren oder als über 58-Jährige innerhalb eines Jahres kein Jobangebot erhielten.

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