14. August 2017
Langzeitarbeitslose gehen seltener wählen. Dennoch sollte Wahlabstinenz nicht als fehlendes Politikinteresse interpretiert werden. Die Studie „Gib mir was, was ich wählen kann“ der Denkfabrik – Forum Menschen am Rande zeigt: Wahlabstinenz von Langzeitarbeitslosen ist Ausdruck eines Vertrauensverlusts in Demokratie und politische Eliten und symptomatisch für die Entfremdung Langzeitarbeitsloser vom Rest der Gesellschaft.
„‘Gib mir was, was ich wählen kann‘ – Demokratie ohne Langzeitarbeitslose?“ – So lautet der Titel der im August erschienenen Studie der Denkfabrik – Forum für Menschen am Rande, in Kooperation mit dem Evangelischen Fachverband für Arbeit und soziale Integration (EFAS) und der Initiative Pro Arbeit. Sie zeigt, dass die geringe Wahlbeteiligung von Langzeitarbeitslosen nicht als politisches Desinteresse ausgelegt werden sollte. Vielmehr offenbart die Studie, dass die Nichtwahl von Langzeitarbeitslosen ihre Frustration über politische Eliten und fehlende gesellschaftlichen Respekt ausdrückt. Die Autoren der Studie mahnen an: Dies ist ein Warnsignal für eine tiefgreifende soziale Spaltung in Deutschland.
Langzeitarbeitslose von Politik und Gesellschaft entfremdet
Die Studie zeigt, dass die Nichtwahl an sich von Langzeitarbeitslosen als Botschaft an die Politik verstanden wird. Langzeitarbeitslose äußerten, dass sie das Vertrauen in politische Eliten und das System der Demokratie verloren hätten. Ebenso berichteten Langzeitarbeitslose, dass keine Partei ihre Interessen ernst nimmt oder glaubhaft vertreten kann. Zudem machen Langzeitarbeitslose politische Entscheidungsträger für ihre gesellschaftliche Ausgrenzung und wirtschaftliche Situation verantwortlich. „Langzeitarbeitslose und ihre Probleme sind ein Brennglas der Gesellschaft“, so Marc Hentschke, Vorstandsvorsitzender des EFAS. „Es ist problematisch, wenn große Teile gesellschaftlicher Gruppen nicht mehr in den Parlamenten repräsentiert sind.“
Gespräche auf Augenhöhe geben Einblick in die Lebenswelt Langzeitarbeitsloser
Die Erkenntnisse der Studie wurden anhand von 44 Interviews mit langzeitarbeitslosen Nichtwählern gewonnen. Die Interviews wurden (unter wissenschaftlicher Begleitung von Prof. Franz Schultheis, Universität St. Gallen) selbst von Langzeitarbeitslosen geführt. Auf diesem Wege wollten die Autoren der Studie Gespräche auf Augenhöhe ermöglichen und somit möglichst tiefe Einblicke in die Motive der Wahlabstinenz erlangen. Die vorliegende Veröffentlichung ist erst eine Vorstudie, bei der von insgesamt 66 Interviews 44 ausgewertet wurden. Eine vollständige Auswertung wird in der Hauptstudie vorliegen, die im nächsten Jahr erscheint.
Appell an die Politik: „Gib mir was, was ich wählen kann.“
Damit Langzeitarbeitslose den Weg zurück in demokratische Prozesse finden, müsse die Politik Langzeitarbeitslose und ihre Interessen stärker berücksichtigen, so die Autoren der Studie. Langzeitarbeitslose wünschen sich Unterstützung seitens Politik und Gesellschaft anstelle der Stigmatisierung, von der sie berichten.
Martin Tertelmann, Leiter der Denkfabrik – Forum für Menschen am Rande resümiert: „Langzeitarbeitslose leiden unter ihrer Situation. Die Politik darf Langzeitarbeitslose und ihre Probleme nicht ignorieren. Langzeitarbeitslose wünschen sich, dass die Politik dort genau hinschaut und aktiv wird.“ Die Studie habe gezeigt, dass Politiker auf Langzeitarbeitslose zugehen und den Dialog eröffnen müssen. Denkbar sei dies zum Beispiel. in Form von Bürgersprechstunden in Begegnungsstellen. Dabei dürfe sich der Kontakt nicht auf die heiße Phase im Wahlkampf beschränken, so Tertelmann.
Die Studie zu langzeitarbeitslosen Nichtwählern zeigt den Teufelskreis auf, in dem Langzeitarbeitslose sich befinden: Langzeitarbeitslosigkeit führt zu empfundener und realer Ausgrenzung aus Politik und Gesellschaft. Gleichzeitig bedeutet die selbst gewählte Wahlabstinenz, dass Langzeitarbeitslose und ihre Interessen auch weiterhin in politischen Entscheidungen unterrepräsentiert sind und zum blinden Fleck der Demokratie werden.
von Lena Becher
Zum Weiterlesen:
Weitere Informationen zur Studie finden Sie hier.