30. Januar 2019
Mit dem Teilhabechancengesetz sollen Langzeitarbeitslose, die seit vielen Jahren in Hartz IV feststecken, einen geförderten Arbeitsplatz erhalten. Die nun veröffentlichen fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) lassen viele Freiheiten bei der Ausgestaltung der Förderung erkennen und werfen gleichzeitig offene Fragen auf.
Seit dem 1. Januar 2019 können Langzeitbezieher von Hartz IV mittels der Maßnahmen nach dem Teilhabechancengesetz einen geförderten Arbeitsplatz erhalten (O-Ton berichtete). Nun wurden auch die fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) veröffentlicht, welche konkrete Vorgaben zur Umsetzung der Fördermaßnahmen beinhalten. Für das neue Regelinstrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ und die Neufassung der „Förderung von Arbeitsverhältnissen“ (FAV) wird beispielsweise die Auswahl der Teilnehmenden, aber auch die Berechnung des Lohnkostenzuschusses konkretisiert.
Die fachlichen Weisungen räumen den zuständigen Arbeitsvermittlern der Jobcenter in Bezug auf die Auswahl von Teilnehmenden einen ungewöhnlich großen Spielraum ein. So ist zwar vorgeschrieben, dass Teilnehmende in „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ mindestens fünf beziehungsweise sechs Jahre Leistungen bezogen haben und währenddessen nur „kurzfristig“ beschäftigt gewesen sein dürfen. Allerdings dürfen die Arbeitsvermittler nach eigenem Ermessen und im Einzelfall entscheiden, wann eine Beschäftigung als kurzfristig zu werten ist. Außerdem wird bei der Personenauswahl auf die Vorgabe einer bestimmten Anzahl von sogenannten Vermittlungshemmnissen verzichtet. Die Arbeitsvermittler müssen daher individuell entscheiden, ob das Instrument das geeignete Mittel zur Förderung der betreffenden Person ist.
Doch kein Tariflohn am sozialen Arbeitsmarkt?
Ein Element der fachlichen Weisungen wird Arbeitgeber, die Langzeitbezieher von Hartz IV mit der Förderung durch „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ beschäftigen wollen, mit Sicherheit verunsichern. Laut fachlicher Weisungen können tarifgebundene Arbeitgeber zwar einen Lohnkostenzuschuss auf Höhe des Tariflohns erhalten. Dieser beinhaltet jedoch kein einmalig gezahltes Arbeitsentgelt – Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld oder Ähnliches sind also nicht vom Lohnkostenzuschuss abgedeckt. Können oder wollen Arbeitgeber diese Mehrkosten nicht zahlen, bleibt ihnen die Möglichkeit, Teilnehmende auf Basis des Mindestlohns einzustellen. Gerade diese drohende Schlechterstellung von Teilnehmenden im Programm innerhalb eines Betriebs wurde im Vorfeld kritisiert (O-Ton berichtete).
Drohende Konflikte mit dem Arbeitsrecht?
Für Fragen dürfte auch die mögliche „Abberufung“ von Teilnehmenden aus ihrem Arbeitsverhältnis auf Anordnung des Jobcenters sorgen. Laut fachlicher Weisungen darf das Jobcenter Teilnehmende aus der Förderung abberufen, zum Beispiel wenn sie eine zumutbare ungeförderte Arbeit oder eine vollqualifizierende Berufsausbildung aufnehmen können. Da die Abberufung fristlos erfolgen kann, birgt die Regelung ein großes Konfliktpotenzial zu den Kündigungsfristen im geltenden Arbeitsrecht. Auch ist unklar, ob die zeitlich befristete Förderung über maximal fünf Jahre ebenso als Befristungsgrund für die neu geschlossenen Arbeitsverhältnisse anerkannt werden kann oder unbefristete Arbeitsverträge geschlossen werden müssen. Es bleibt abzuwarten, ob diese Regelungen Arbeitgeber, vor allem privatwirtschaftliche Unternehmen, abschrecken werden. In der Statistik der BA wird dies nach aktueller Auskunft des Statistik-Service nicht abzulesen sein, da diese keine Angaben zur Art des Arbeitgebers erheben wird.
Sozialer Arbeitsmarkt als Grund für Sanktionen?
Verpflichtend ist für alle Teilnehmenden in der „Teilhabe am Arbeitsmarkt“, die beschäftigungsbegleitende Betreuung, also ein Coaching, wahrzunehmen. Diese Verpflichtung wird in der Eingliederungsvereinbarung des jeweiligen Teilnehmers festgehalten. Die Weigerung am Coaching teilzunehmen kann deshalb laut fachlichen Weisungen einen Sanktionsgrund darstellen. Für Teilnehmende, die aufgrund ihres Einkommens aus dem geförderten Arbeitsverhältnis keine Hartz-IV-Leistungen mehr beziehen müssen, kann die Förderung an sich beendet werden. Die Weigerung am Coaching teilzunehmen, stellt einen Abberufungsgrund dar. Der Umfang des Coachings soll gemäß den fachlichen Weisungen individuell von den Arbeitsvermittlern festgelegt werden und entweder vom Jobcenter selbst oder durch beauftragte Dritte durchgeführt werden.
Die fachlichen Weisungen sind bindend für die Jobcenter in gemeinsamer Trägerschaft der BA und der jeweiligen Kommune. Jobcenter in kommunaler Trägerschaft orientieren sich jedoch erfahrungsgemäß oft an den Weisungen der BA. Nicht zuletzt aufgrund der großen Entscheidungsfreiheit, die den Jobcentern bei der Umsetzung der Förderung gewährt wird, ist allerdings mit erheblichen regionalen Unterschieden am sozialen Arbeitsmarkt zu rechnen.
von Lena Becher
Zum Weiterlesen:
O-Ton Arbeitsmarkt, Teilhabechancengesetz: Sozialer Arbeitsmarkt mit Ablaufdatum, 07.11.2018.