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Corona-Pandemie: Warum die Zahl der Arbeitslosen gleichzeitig zu hoch und zu niedrig ist

Im April 2020 ist die Zahl der Arbeitslosen auf 2,64 Millionen gestiegen. Das sind 308.000 Arbeitslose mehr als noch im Vormonat. Weil die Zahl der Arbeitslosen jedoch einer engen gesetzlichen Definition und statistischen Erhebungsmethoden unterliegt, bildet sie die Auswirkungen der Corona-Pandemie nur lückenhaft ab.

Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens wirken sich massiv auf den Arbeitsmarkt aus. Die Krisenstimmung am Arbeitsmarkt zeigt sich nicht nur an den historischen Werten im Bereich des Kurzarbeitergeldes – Ende April gab es nach Angaben der Arbeitsagentur über zehn Millionen Kurzarbeiter – sondern auch an einem Anstieg der Arbeitslosigkeit. Für April 2020 meldete die Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) 2,64 Millionen Arbeitslose – 308.000 Personen mehr als einen Monat zuvor und sogar 415.000 mehr als im April 2019. Doch was sagt dieser Anstieg über die Verfassung des Arbeitsmarktes aus? Und was nicht?

Arbeitslose in der Statistik vs. de facto Arbeitslose

Einerseits überzeichnet der Anstieg der Arbeitslosigkeit in der BA-Statistik das Ausmaß der aktuellen Krise. So hat die Zahl der Arbeitslosen im Vorjahresvergleich zwar um knapp 415.000 bzw. 18,6 Prozent zugenommen, doch sollte die Zahl der Arbeitslosen nicht isoliert betrachtet werden. Zu den offiziell Arbeitslosen müssten nämlich noch weitere 800.000 de facto Arbeitslose in Maßnahmen, Krankheit und Sonderregelungen für Ältere gerechnet werden, die in der BA-Statistik lediglich als „Unterbeschäftigte im engeren Sinne“ geführt werden. Weil sich die Corona-Pandemie auf die Unterbeschäftigung nicht im gleichen Maße auswirkt wie auf die offizielle Arbeitslosigkeit, war hier der unmittelbare Anstieg deutlich niedriger: Im April 2020 gab es laut BA-Statistik knapp 3,45 Millionen Unterbeschäftigte im engeren Sinne, rund 272.000 bzw. 8,6 Prozent mehr als noch im April 2019. Der Anstieg der de facto Arbeitslosigkeit ist demnach weniger dramatisch ausgefallen.

Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Darstellung O-Ton Arbeitsmarkt.

Haben über 300.000 Menschen ihre Arbeit verloren?

Wenn man den Anstieg der Arbeitslosigkeit um rund 308.000 betrachtet, liegt trotzdem die Vermutung nahe, dass all diese Personen im Zuge der Krise ihre Arbeit verloren haben und deshalb arbeitslos geworden sind. Aufgrund der engen Definition von Arbeitslosigkeit in den deutschen Sozialgesetzbüchern ist diese Annahme jedoch falsch. Erstens stellen die 308.000 Arbeitslose „mehr“ nur das Endergebnis aus Zugängen in Arbeitslosigkeit und Abgängen aus Arbeitslosigkeit dar – tatsächlich gab es im April 2020 sogar knapp 668.000 Zugänge in Arbeitslosigkeit. Zweitens handelt es sich bei diesen Zugängen nicht ausschließlich um Personen, die von Arbeit in Arbeitslosigkeit übergingen.

Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Darstellung O-Ton Arbeitsmarkt.

18 Prozent der neu Arbeitslosen kamen aus einer Fördermaßnahme und mehr als ein Viertel der Zugänge entfielen auf Personen, die zuvor „nicht erwerbstätig“ waren. Hierzu zählen beispielsweise zuvor Arbeitsunfähige aber auch Erziehende oder Pflegende, die nun dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und sich arbeitslos meldeten. Nur knapp die Hälfte der Zugänge in Arbeitslosigkeit im April 2020 entfiel auf Personen, die zuvor erwerbstätig waren: Knapp 325.000 der Neuzugänge in Arbeitslosigkeit gingen vorher einer Erwerbsarbeit nach. Diese Zahl liegt trotz allem deutlich über den Werten aus April 2018 (203.000) und April 2019 (208.000). Demnach ist davon auszugehen, dass ein erheblicher Teil der Neuzugänge auf Arbeitsplatzverluste aufgrund der Corona-Pandemie zurückzuführen ist.

Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Darstellung O-Ton Arbeitsmarkt.

Maßnahmen reduzieren die Zahl der Arbeitslosen

Folgt man dieser Argumentation, fällt der aktuelle Anstieg der Arbeitslosigkeit also zu hoch aus und die „ehrlichere“ Arbeitslosenzahl der Unterbeschäftigten im engeren Sinne gibt eine realistischere Auskunft über die Auswirkungen der Pandemie. Gleichzeitig zeigt die BA-Statistik aber auch, dass die Corona-Pandemie die entlastende Wirkung der arbeitsmarktpolitischen Fördermaßnahmen (noch) nicht vollständig zum Erliegen gebracht hat. So gingen zwar knapp 121.000 Personen von einer Maßnahme in Arbeitslosigkeit über, doch handelt es sich dabei im Vergleich mit den Vorjahren nicht um einen auffällig hohen Wert. Der Grund dafür ist, dass aktuell viele Maßnahmen lediglich pausiert, aber nicht abgebrochen werden. Die Teilnehmenden verbleiben damit offiziell in den Maßnahmen und werden statistisch nicht als Arbeitslose erfasst.

Stichtagsregelung verzögert die Erfassung

Ein weiterer Umstand, der die Zahl der Arbeitslosen aktuell noch künstlich reduziert, ist die Stichtagsregelung in der BA-Statistik. So wird die Zahl der Arbeitslosen immer nur zu einem zuvor festgelegten Stichtag erhoben. Für den Monat April 2020 war dies der 14.04.2020. Zu diesem Zeitpunkt bestanden die Kontaktbeschränkungen erst seit sehr kurzer Zeit. Es ist davon auszugehen, dass viele Arbeitsverhältnisse erst mit einer gewissen Verzögerung beendet wurden oder beendet werden konnten. Dieser Umstand lässt darauf schließen, dass die Arbeitsmarktzahlen aus April den tatsächlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit nur teilweise abbilden konnten. In den kommenden Monaten ist damit zu rechnen, dass sich ein genaueres Bild über die Auswirkungen der Pandemie auf den deutschen Arbeitsmarkt zeigen wird. Eine differenzierte Betrachtung mehrerer Kennzahlen wird auch dabei unbedingt nötig sein.

von Lena Becher



Zum Weiterlesen:

Bundesagentur für Arbeit, Arbeitslose und Arbeitslosenquoten – Deutschland und West/Ost (Zeitreihe Monats- und Jahreszahlen ab 1950), April 2020.

Bundesagentur für Arbeit, Arbeitslose nach Rechtskreisen – Deutschland, West/Ost, Länder und Agenturen für Arbeit (Monatszahlen), April 2020.

Bundesagentur für Arbeit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung – Deutschland, West/Ost und Länder (Monatszahlen), April 2020.