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Geförderte Beschäftigung statt Langzeitarbeitslosigkeit

(o-ton) Die Bundesregierung schlägt mit der Instrumentenreform eine neue Marschrichtung in der Arbeitsmarktpolitik ein. Maßnahmen, die keinen eindeutigen Erfolg bei der Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt bringen, werden radikal zusammengestrichen oder der Zugang zu diesen erschwert. Bei einer allgemein sinkenden Arbeitslosigkeit sollen jetzt auch die Letzten in Arbeit gebracht werden, so die offizielle Botschaft. Doch nicht für alle Arbeitslosen ist das realistisch.

Wegen der guten Wirtschaftslage finden aktuell viele Arbeitslose einen Arbeitsplatz. Die Arbeitslosenzahlen sinken, die Erwerbsbeteiligung steigt. Das Arbeitsministerium spricht bereits vom Ziel der Vollbeschäftigung. Die registrierte Arbeitslosigkeit liegt in Deutschland aber weiterhin bei knapp 2,9 Millionen Menschen im Jahresdurchschnitt 2011. Von diesen Menschen zählen deutlich über eine Million (1.056.000) zu den Langzeitarbeitslosen, die bereits länger als ein Jahr ohne Arbeit sind. Meist sorgen bei ihnen multiple Vermittlungshemmnisse wie beispielsweise eine fehlende oder geringe Ausbildung zusammen mit gesundheitlichen Problemen, einem höheren Alter oder einem Migrationshintergrund dafür, dass ihre Chancen auf einen regulären Arbeitsplatz gegen Null tendieren. Auch bei guter Wirtschafts- und entsprechender Arbeitsmarktlage ändert sich an diesen Problemen nichts und so bleiben sie meist in der so genannten verfestigten Arbeitslosigkeit oder Sockelarbeitslosigkeit zurück.

Schwer vermittelbar wegen Krankheit, Alter, Ausbildung in der DDR

Bis 2008 war Wilfried Matthes einer von diesen Menschen. Seine Vermittlungshemmnisse: Gesundheitliche Einschränkungen, sein Alter und sein beruflicher Hintergrund. Herr Matthes ist 54 Jahre alt. Vor einigen Jahren hatte er einen Bandscheibenvorfall. Schon seit seiner Kindheit kämpft er dazu mit psychischen Problemen, die er, wie er selbst sagt, aber unter Kontrolle hat, so lange er Arbeitstempo und Aufgaben relativ frei einteilen kann.
Matthes ist im Berliner Ostteil aufgewachsen und hat dort eine Ausbildung zum Facharbeiter für Betriebs- und Verkehrsdienst gemacht. Nach der Wende war er zunächst bei den Berliner Verkehrsbetrieben beschäftigt, 1999 zog er nach Stuttgart und fand dort eine Stelle in der Medienbeobachtung. Als sein Arbeitgeber 2005 in die Schweiz ging, verlor Herr Matthes seine Stelle und wurde arbeitslos.

„Den Ein-Euro-Job habe ich mir selbst gesucht“

Es folgten drei Jahre Arbeitslosigkeit und vergebliche Jobsuche. Unzählige Bewerbungen hat er in dieser Zeit geschrieben. Auch bei der Bahn hat es Matthes nochmal versucht – keine Chance. Einen Ein-Euro-Job hätte er in der Zeit gerne angenommen, doch eine Beschäftigung kam zunächst nicht zustande. Schließlich stellte ein Schuldnerberater den Kontakt mit dem Sozialunternehmen Neue Arbeit her und Wilfried Matthes bekam seine Ein-Euro-Stelle bei klinik-tv, einem kostenlosen Fernsehsender für Krankenhäuser im Stuttgarter Raum. Angefangen hat er mit Personalsachbearbeitung und Buchhaltung, aber auch den „Kabelaffen“ bei Dreharbeiten hat er gemacht. Inzwischen stellt er das Programm des Senders zusammen. „Da wusste ich endlich wieder, wofür der Wecker klingelt“, sagt Matthes. Und auch das bisschen Mehr im Geldbeutel sei natürlich wichtig. 2011 ist aus Matthes Ein-Euro-Stelle eine unbefristete 16e-Stelle geworden. 16e steht für den Beschäftigungszuschuss nach § 16e SGB II, ein arbeitsmarktpolitisches Instrument, durch das Hartz IV-Empfänger mit besonders geringen Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt einen durch staatliche Mittel mitfinanzierten Arbeitsplatz erhalten. Bis zu 75 Prozent des Arbeitgeberbruttos, das nicht unterhalb des tariflichen oder ortsüblichen Satzes liegen darf, trägt die Agentur für Arbeit.

Eine dauerhafte Stelle auf dem zweiten Arbeitsmarkt

Nicht bei allen Menschen ist es realistisch, dass sie mit der entsprechenden Förderung irgendwann wieder einen regulären Arbeitsplatz erhalten werden, sagt Jürgen Eberl, der als Projektleiter für die Mitarbeiter bei klinik.tv zuständig ist. Drei ehemalige Mitarbeiter haben in den letzten sechs Monaten den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt geschafft, aber das gelingt einfach nicht jedem, weil nicht jeder die entsprechenden Voraussetzungen mitbringt. 16e hilft hier, diese Menschen nicht dauerhaft auszugrenzen und Ihnen die Teilhabe am sozialen Leben zu ermöglichen. Für eine entsprechende Förderung sind die finanziellen Mittel vom Staat weiterhin wichtig, denn ein sich erholender Arbeitsmarkt bedeutet eben nicht im Umkehrschluss, dass arbeitsmarktpolitische Maßnahmen unnötig werden.

Mit der Instrumentenreform verkürzt sich die Förderdauer in 16e auf 24 Monate innerhalb von fünf Jahren. Herrn Matthes, der seine unbefristete 16e-Stelle schon hat, betrifft das nicht mehr. Er hofft, bis zur Rente bei klinik.tv bleiben zu können. Sein Arbeitgeber bei der Neuen Arbeit hat nichts dagegen einzuwenden.

Zum Weiterlesen:

Bundesagentur für Arbeit, Sockel- und Langzeitarbeitslosigkeit

Website des Sozialunternehmens Neue Arbeit