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Der soziale Arbeitsmarkt – Billigjobs oder echte Chance für Langzeitarbeitslose?

(o-ton) Die Politik findet zunehmend Gefallen an staatlich finanzierten sozialversicherungspflichtigen Jobs für besonders arbeitsmarktferne Langzeitarbeitslose. Das zeigen Bundestagsanträge von SPD und Grünen sowie ein Vorstoß der FDP zusammen mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband. Aktuell diskutieren die Arbeitsmarktexperten Helga Spindler, Professorin der Universität Duisburg-Essen und Stefan Sell, Professor der Hochschule Koblenz in der taz Für und Wider eines „sozialen Arbeitsmarktes“.

Ende letzten Jahres reichten SPD und Grüne im Bundestag Anträge ein, in denen sie staatlich finanzierte, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose fordern. Selbst die FDP sieht die Notwendigkeit eines speziellen Beschäftigungsmodells für dauerhaft Arbeitslose ohne reelle Chance am Arbeitsmarkt. Sie hat gemeinsam mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband ein entsprechendes Konzept vorgelegt. Ein Bundesratsantrag scheiterte zuletzt lediglich an den Ländern mit CDU-Regierungsbeteiligung (O-Ton berichtete).

„Ein großer Plan für Billigjobs“

So viel Einigkeit scheint fast verdächtig. Für die Sozialrechtlerin Helga Spindler ist der soziale Arbeitsmarkt so auch nicht mehr als eine staatliche Förderung von Billigjobs. Der Hintergrund: Die neuen Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose sollen nicht, wie bisher, lediglich im gemeinnützigen Bereich entstehen können, sondern auch bei privatwirtschaftlich arbeitenden Unternehmen. Bei ungeklärter Lohnhöhe sieht Spindler hier Tür und Tor geöffnet für einen staatlich bezuschussten Niedriglohnsektor Langzeitarbeitsloser auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Für Spindler führt das Modell zudem zu einer „Entrechtung von Arbeitslosen“, so schreibt sie in ihrem Kommentar in der taz. Denn die von SPD und Grünen versprochene Freiwilligkeit der Teilnahme würde bei der tatsächlichen Umsetzung des Modells ohnehin nicht eingehalten.

Weiterhin kritisiert die Professorin die Definition der Zielgruppe. Um sicherzustellen, dass die geförderten Arbeitsplätze auch tatsächlich nur für die Personen zugänglich sind, deren Chancen auf eine ungeförderte Arbeitsstelle gegen null gehen, sehen die Anträge der Parteien unterschiedliche Identifikationsverfahren vor. Laut Spindler eine Abwertung der Person, denn nur „Minderleister“ kämen in den „Genuss“ einer Förderung.

„Ein pragmatischer Plan für echte Jobs“

Arbeitsmarktexperte Stefan Sell, dessen Ideen in die Konzepte der Parteien für einen„Sozialen Arbeitsmarkt“ eingeflossen sind, hält dagegen. Bereits seit langem fordert er eine Neuordnung der öffentlich geförderten Beschäftigung und insbesondere die Aufhebung der Marktferne der Arbeitsplätze. Für ihn ist der „soziale Arbeitsmarkt“ ein „pragmatischer Plan für echte Jobs“, der der Realität ins Auge sieht.

Derzeit seien Hundertausende Menschen mit mehreren Vermittlungshemmnissen „konfrontiert mit einem Arbeitsmarkt, der sie niemals (mehr) einstellen wird.“ Die Öffnung der staatlichen Förderung auch für marktwirtschaftlich arbeitende Unternehmen sei daher ohnehin nur eine theoretische, die der Argumentation einer Verdrängung von regulären Arbeitsplätzen aber den Wind aus den Segeln nehme. Schlussendlich schaffe man eine langfristige Arbeitsperspektive für arbeitsmarktferne Langzeitarbeitslose bei professionellen Sozialunternehmen und damit einen Ausweg aus dem oft jahrelangen Transferleistungsbezug.

Eine Förderung müsse schon allein deshalb an der individuellen Minderleistung der Person festgemacht werden, weil, gemäß EU-Recht, nur so eine Subventionierung von Arbeitsplätzen zulässig ist, so Sell in seinem Kommentar. Von der von Spindler befürchteten Identifikation der Menschen über lediglich zwei Vermittlungshemmnisse oder gar einer Untersuchung durch den Amtsarzt hält Prof. Sell nichts. Seiner Ansicht nach sollten nur Langzeitarbeitslose mit mehr als fünf „Vermittlungshemmnissen“ infrage kommen – derzeit immerhin über 400.000 Menschen.

Und auch das Kriterium der Freiwilligkeit sieht der Arbeitsmarktexperte für problemlos einhaltbar. Es gebe genügend Langzeitarbeitslose, die auf eine entsprechende Chance warteten. Eine Entlohnung nach Mindestlohn sei im Modell, ungeachtet einer noch nicht flächendeckenden Einführung eines solchen, ebenfalls vorgesehen. Was die Politik schlussendlich aus den Ideen macht, bleibt abzuwarten.

Zum Weiterlesen:

Ein großer Plan für Billigjobs, Kommentar von Helga Spindler in der taz

Ein pragmatischer Plan für echte Jobs, Kommentar von Stefan Sell in der taz

Stefan Sell, Die öffentlich geförderte Beschäftigung vom Kopf auf die Füße stellen