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Experten bewerten den Sozialen Arbeitsmarkt

(o-ton) Grüne, SPD und die Linke fordern einen Sozialen Arbeitsmarkt mit staatlich (teil)finanzierten sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen für Langzeitarbeitslose ohne reelle Chance am Arbeitsmarkt. Bei einer Bundestagsanhörung am 15. April bewerteten Sachverständige die Anträge und Gesetzentwürfe der Parteien.

Trotz positiver Entwicklung am Arbeitsmarkt gibt es in Deutschland einen harten Kern an sehr „arbeitsmarktfernen“ Langzeitarbeitslosen. Grüne, SPD und die Linke fordern deshalb einen Sozialen Arbeitsmarkt. Auf freiwilliger Basis sollen hier staatlich (teil)subventionierte sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze angeboten werden, auf denen die Teilnehmer längerfristig beschäftigt und so schrittweise auf den ersten Arbeitsmarkt vorbereitet werden (O-Ton berichtete).

Bei einer Anhörung im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales am 15. April 2013 beurteilten Sachverständige aus Interessensvertretungen, Wohlfahrtsverbänden sowie Wissenschaft und Forschung Gesetzentwurf und Anträge der Parteien sehr unterschiedlich. Hier die zentralen Positionen ausgewählter Experten:

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAG FW) sieht einen großen Bedarf für einen Sozialen Arbeitsmarkt. Die aktuellen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen reichten bei weitem nicht aus, um besonders arbeitsmarktferne Langzeitarbeitslose in Arbeit zu bringen. Auch nach jahrelanger Arbeitslosigkeit sei es möglich, Personen in Arbeit zu bringen. Dazu seien aber ausreichend Zeit und eine adäquate Förderung nötig. Der Soziale Arbeitsmarkt böte daher eine große Chance, die etwa einhundert- bis zweihunderttausend Menschen zu Gute kommen könnte.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hingegen sieht im Sozialen Arbeitsmarkt eine Gefahr für den regulären Arbeitsmarkt. Besonders Geringqualifizierte könnten eine geförderte Beschäftigung einer regulären Arbeit am ersten Arbeitsmarkt vorziehen. Zudem gebe es schon ausreichend arbeitsmarktpolitische Instrumente für die Zielgruppe. Auch neue Arbeitsplätze würden durch die Einrichtung eines Sozialen Arbeitsmarktes nicht entstehen, so der BDA-Vertreter. Stattdessen bestünde die Gefahr, dass Einfacharbeitsplätze am ersten Arbeitsmarkt in öffentlich geförderte Arbeitsplätze umgewandelt würden.

Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hält die bestehenden arbeitsmarktpolitischen Instrumente für ausreichend. Eine längerfristige Förderung birgt für den DIHK die Gefahr, dass deutlich länger gefördert würde als notwendig. Wenn dennoch ein Sozialer Arbeitsmarkt eingerichtet werden solle, müsse die Zielgruppe unbedingt genau definiert werden.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) steht einem Sozialen Arbeitsmarkt grundsätzlich positiv gegenüber. Besonders sinnvoll sei es, die Arbeitsplätze im privaten Sektor anzusiedeln und so Arbeitsmarktnähe zu schaffen. Unabdingbar sei allerdings eine umfangreiche Kontrolle und Überwachung, um eine Verdrängung von Arbeitsplätzen am ersten Arbeitsmarkt zu vermeiden. Erfreulich sei daher das von der SPD geplante Vetorecht für die Tarifvertragspartner.

Professor Dr. Stefan Sell von der Hochschule Koblenz machte deutlich, dass die Öffnung der geförderten Arbeitsplätze für alle Arbeitgeber das Problem der Wettbewerbsneutralität beseitige. Für die Personen, die trotz dieser Öffnung nicht bei Wirtschaftsunternehmen unterkämen, sollten professionelle Integrationsunternehmen zwischengeschaltet werden. Das sei auch gerade deshalb sinnvoll, weil sie eine umfangreiche Betreuungsstruktur vorhalten. Sie müssten dann aber auch auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig sein dürfen. Leiharbeitsunternehmen seien kategorisch von der öffentlichen Förderung auszuschließen, denn als Leiharbeiter würden die Beschäftigten nicht in die Betriebe eingebettet.
Prof. Sell gab zudem zu bedenken, dass die Finanzierung über den Passiv-Aktiv-Transfer lediglich etwa 50 Prozent der Kosten abdecke. Die restlichen Mittel müsse die Politik zusätzlich aufbringen.

Hermann Genz, Geschäftsführer des Jobcenters Mannheim sprach sich für einen Sozialen Arbeitsmarkt aus, der Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt fördert und über den Passiv-Aktiv-Transfer finanziert wird. Auf Basis seiner Erfahrungen mit dem Landesarbeitsmarktprogramm Baden-Württemberg berichtete er, es gebe zahlreiche Unternehmen, die offen für diese soziale Aufgabe seien. Zudem plädierte Genz für die Möglichkeit einer hundertprozentigen Förderung, denn diese erfülle eine wichtige Türöffnerfunktion bei privatwirtschaftlichen Unternehmen. Die Zielgruppe solle ausschließlich über die Dauer der Arbeitslosigkeit definiert werden. Menschen, die beispielsweise vier Jahre oder länger arbeitslos seien, hätten definitiv „ihr Päckchen zu tragen“. Hier bedürfe es keiner zusätzlichen diskriminierenden Tatbestände.

Die Sozialwissenschaftlerin Dr. Alexandra Wagner unterstützte die Linke, für die Tätigkeiten auf dem Sozialen Arbeitsmarkt zusätzlich und im öffentlichen Interesse sein sollen. Eine Befragung der Beschäftigten im öffentlich geförderten Sektor in Berlin habe gezeigt, dass sie ihre Tätigkeiten überwiegend positiv bewerteten und sich gesellschaftlich gebraucht fühlten.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) betonte die Notwendigkeit einer sorgfältigen Eingrenzung und Auswahl der Zielgruppe. Bei einer langfristigen Förderung sei zudem die regelmäßige Überprüfung der Fördervoraussetzungen unentbehrlich.

Auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) sprach sich für eine genaue Definition der Zielgruppe aus. Wichtig sei zudem, die einzelnen Förderkriterien genau zu überdenken. Die BA fordert einen grundsätzlich „ganzheitlichen Ansatz“ zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit von schwer vermittelbaren Personen. Es sei beispielsweise nicht sinnvoll, ältere Langzeitarbeitslose ohne Befristung auf einem Sozialen Arbeitsmarkt zu beschäftigen. Vielmehr müssten hier verstärkt versucht werden, sie in Arbeit zu integrieren und Vorurteile auf Seiten der Arbeitgeber abzubauen.

Zum Weiterlesen:

Deutscher Bundestag, Videomitschnitt der Ausschusssitzung vom 15.4.2013

Deutscher Bundestag, Experten sind uneinig über sozialen Arbeitsmarkt