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Teilhabe braucht Arbeit: Welche Perspektiven gibt es für Langzeitarbeitslose?

(o-ton) Eine mögliche Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose durch die Bundesregierung war das zentrale Thema einer Tagung der Initiative Pro Arbeit in Stuttgart. Beschäftigungsbetriebe sowie Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Interessenvertretungen diskutierten unter der Überschrift „Teilhabe braucht Arbeit“ vor einem breiten Publikum.

Am 9. Oktober luden der Evangelische Fachverband für Arbeit und soziale Integration e.V. (EFAS), die AG Arbeit in Baden-Württemberg und die Neue Arbeit Stuttgart zur Fachtagung „Teilhabe braucht Arbeit“ ins Haus der Deutschen Wirtschaft in Stuttgart ein. Bei der Veranstaltung im Rahmen der Initiative Pro Arbeit wurde zur Situation Langzeitarbeitsloser und Perspektiven der öffentlich geförderten Beschäftigung diskutiert. Weil die alte Bundesregierung die öffentlich geförderte Beschäftigung massiv zurückgefahren hat, gibt es aktuell nur noch wenige Fördermöglichkeiten für Langzeitarbeitslose. Bisher hat das Arbeitsministerium unter Andrea Nahles hier keine Trendwende vollzogen. Ein wichtiges Thema war daher auch die Marschrichtung der Großen Koalition.

Die Initiative Pro Arbeit setzt sich für einen Sozialen Arbeitsmarkt ein, auf dem Langzeitarbeitslose auf staatlich (teil-)finanzierten sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen beschäftigt werden sollen. Finanzierungsmodell ist der Passiv-Aktiv-Transfer (PAT), bei dem passive Leistungen der Arbeitsmarktpolitik in aktive umgewidmet werden.

Unterstützung erhielt die Initiative von Landesbischof Frank Otfried July, der sich zu Beginn der Veranstaltung klar für eine entsprechende Förderung aussprach. Das Landesprogramm in Baden-Württemberg, das den PAT bereits erprobt, zeige deutlich, wie sehr Arbeit „sozial Schwachen und Ausgegrenzten“ wieder eine Perspektive eröffnen könne. Auch Hansjörg Böhringer, Vorstandsvorsitzender des Paritätischen in Baden-Württemberg, unterstützte die Initiative. Langzeitarbeitslosigkeit sei eines der zentralen Arbeitsmarktprobleme in Deutschland, daher ginge kein Weg daran vorbei, etwas für die zu tun, die auch bei guter Arbeitsmarktlage „übrig bleiben.“

Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit

Eine umfangreiche Zusammenfassung der Situation Langzeitarbeitsloser am deutschen Arbeitsmarkt lieferte Prof. Dr. Matthias Knuth von der Universität Duisburg-Essen. So gäbe es kaum noch Übergänge von Langzeitarbeitslosen in Erwerbstätigkeit, im Gegenteil verfestige sich bei ihnen die aussichtslose berufliche Situation. Die Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik seien zudem überproportional verlaufen, stünden also in keinem Verhältnis zum Rückgang der gesamten (Langzeit-)Arbeitslosigkeit. Auch fördere man die Personen kaum noch in einer Form, die ihre Chancen am Arbeitsmarkt tatsächlich steigern könnte, denn die Zahl der Maßnahmen, die zu einem beruflichen Abschluss führen, gingen trotz Fachkräftemangel zurück.

In einer Diskussionsrunde sprachen sich Hansjörg Böhringer und Landtagsmitglied Rainer Hinderer (SPD) für den Transfer des baden-württembergischen Modellprojektes auf die Bundesebene aus. Böhringer hielt die finanziellen Dimensionen für überschaubar und appellierte an den Willen der Politik, etwas für Langzeitarbeitslose zu tun. Hinderer erwartet hingegen in dieser Legislaturperiode keine Fortschritte mehr, hofft aber auf Modellprojekte.

„Aktuell keine passenden Maßnahmen im BA-Portfolio“

Thomas Friedrich, Bereichsleiter „Produktentwicklung Langzeitarbeitslosigkeit“ bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) bestätigte, dass Langzeitarbeitslose kaum in Arbeit kommen. Da es für die Zielgruppe eines Sozialen Arbeitsmarktes aktuell keine passenden Maßnahmen im BA-Portfolio gebe, beschäftige man sich intensiv mit dem Thema. „Im Laufe des Novembers kommt etwas vom Arbeitsministerium“, kündigte er an. Die Option, Langzeitarbeitslose in die Erwerbsunfähigkeit und damit „aus dem System zu drängen“, wie es in anderen EU-Ländern der Fall sei, lehnte er kategorisch ab. Die Finanzierung des Sozialen Arbeitsmarktes sei allerdings nicht einfach. Beim PAT müsse es eine Kofinanzierung geben, urteilte er.

Marc Hentschke, Geschäftsführer des Sozialunternehmens Neue Arbeit Stuttgart und Vorsitzender des EFAS, fasste die Entwicklungen zum Thema Sozialer Arbeitsmarkt seit Start der Initiative Pro Arbeit zusammen. Langzeitarbeitslosigkeit sei kein Mainstream-Thema, was den Weg beschwerlich mache. Dennoch gebe es viele Befürworter auf Seiten der Interessenvertretungen und auch bei der Politik. Dazu gehörte zuletzt eine Initiative der ostdeutschen SPD-Abgeordneten sowie der zuständigen Berichterstatterin der CDU/CSU-Fraktion für die Neuordnung des Sozialgesetzbuchs II, Jutta Eckenbach. Auch auf Seiten der CDU wandle sich die Haltung, so Hentschke, sodass er für 2014 „verhalten optimistisch“ ist, was die Umsetzungs- oder Erprobungsoptionen des Sozialen Arbeitsmarktes betrifft. Insgesamt könne dieser aber nur eine unter mehreren Fördermöglichkeiten sein.

Arbeitgebervertreter Stefan Küpper vom Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft sieht den PAT in seinem Bundesland aufgrund des hohen Anteils privatwirtschaftlicher Arbeitgeber grundsätzlich positiv. Er dürfe aber nicht zum Ersatz für eine Grundbildungsstrategie werden. Bernhard Löffler, Regionsgeschäftsführer des DGB in Baden-Württemberg mahnte, dass ein Sozialer Arbeitsmarkt immer die Gefahr der Verdrängung und Stigmatisierung berge. Zudem müsse mit allen Mitteln verhindert werden, dass man einen öffentlich geförderten Niedriglohnsektor aufbaue.

Von „unterwertige Beschäftigung verhindern“ zu „quick and dirty“

Prof. Dr. Stefan Sell von der Hochschule Koblenz verdeutlichte die Fehlentwicklungen in der deutschen Arbeitsmarktpolitik mit einer Zeitreise zurück zum Arbeitsförderungsgesetz von 1969. Während zur Zeit der Vollbeschäftigung und der Angst vor Fachkräfteknappheit noch der Fokus auf sinnvoller Weiterqualifizierung, beispielsweise bei Zahlung von Unterhaltsgeld in Höhe von 90 Prozent des letzten Nettogehaltes, lag und „unterwertige Beschäftigung verhindern“ vorrangiges Ziel war, gehe es heute, haushaltspolitisch motiviert, hauptsächlich um schnelle Vermittlungen, die selten nachhaltig seien. Sell kritisierte das hohe Maß an Individualisierung der Arbeitslosigkeit. Dabei sei es wenig sinnvoll, mit „quick and dirty“-Maßnahmen an den Arbeitslosen „rumzuschrauben“, um sie für den Arbeitsmarkt passend zu machen, wenn die entsprechende Nachfrage nicht gegeben sei. Vielmehr sei es unter anderem nötig, Qualifizierung durch echte Arbeit zu ermöglichen, beispielsweise durch eine öffentlich geförderte Beschäftigung in professionellen Beschäftigungsunternehmen, die auf der Basis einer Lohnkostensubventionierung für langzeitarbeitslose Menschen am und im ersten Arbeitsmarkt tätig sein können, was aber derzeit förderrechtlich „verunmöglicht“ wird.

Katrin Altpeter, Sozialministerin des PAT-Modelllandes Baden-Württemberg, sprach sich abschließend klar für die Übertragung des Landesprogramms auf die Bundesebene aus. PAT und Sozialer Arbeitsmarkt seien ein voller Erfolg und daher gerade in die Verlängerung gegangen. Ein bundesweiter Sozialer Arbeitsmarkt via PAT-Finanzierung als reguläres Instrument der deutschen Arbeitsmarktpolitik sei dringend notwendig. Das BMAS soll sich daher „einen Ruck geben“, forderte sie augenzwinkernd.

Zum Weiterlesen:

Teilhabe braucht Arbeit, Tagungsflyer