24. November 2014
(o-ton) Bei dem arbeitsmarktpolitischen Träger Soziales Werk – Das Netz in Oelsnitz ist im Sommer die Bürgerarbeit ausgelaufen. Von den sieben Teilnehmern arbeiten nun sechs als Ehrenamtliche, für deutlich weniger Geld und ohne Betreuung und Qualifizierung. Der Träger findet das problematisch, möchte den Langzeitarbeitslosen aber eine Beschäftigung geben. Ein Gespräch mit Thomas Kebschull, Tobias Odoj und der Ehrenamtlichen Frau Rubner über die Gratwanderung zwischen Auffangen der arbeitsmarktpolitischen Sparmaßnahmen und Ausbeutung.
O-Ton Arbeitsmarkt: Herr Odoj, von wann bis wann lief bei Ihnen die Bürgerarbeit?
Tobias Odoj (Leiter der Möbelbörse): Die Bürgerarbeit gab es bei uns von Juli 2011 bis zum Juni 2014. Wir hatten insgesamt sieben Stellen, zwei in der Begegnungsstätte, zwei im Verkauf der Möbelbörse, zwei Fahrer und eine Köchin in der Kantine.
O-Ton Arbeitsmarkt: Und wie ist die Situation nun seit Ende der Bürgerarbeit?
Odoj: Sechs der sieben Bürgerarbeiter sind weiter bei uns, als Ehrenamtliche. Sie arbeiten aber jetzt nur noch 13 und nicht mehr 30 Stunden die Woche und bekommen natürlich auch deutlich weniger Geld. Es gibt nur eine Aufwandsentschädigung von 40 bis 80 Euro pro Monat gegenüber etwa 900 Euro brutto in der Bürgerarbeit. Außerdem fällt die Betreuung und Qualifizierung einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme weg. Die Ehrenämtler haben zwar Zugang zu den Sozialpädagogen im Haus, mehr aber nicht.
O-Ton Arbeitsmarkt: Warum arbeiten die ehemaligen Bürgerarbeiter fast umsonst und ohne arbeitsmarktpolitische Förderung weiter? Sie könnten ja auch zu Hause bleiben, Herr Kebschull.
Thomas Kebschull (Bereichsleiter des Sozialen Werks – Das Netz): Den Ehrenamtlichen ist es wichtig, unter Menschen zu sein und das Gefühl zu haben, gebraucht zu werden. Viele sagen uns, dass sie hier die Bestätigung bekommen, etwas Sinnvolles zu tun. Dabei geht es Ihnen in erster Linie nicht um das Geld, sondern um die Anerkennung.
O-Ton Arbeitsmarkt: Frau Rubner (ehemalige Bürgerarbeiterin und jetzt Ehrenamtliche, 53 Jahre), was bedeutet das Ende der Bürgerarbeit für Sie?
Frau Rubner: Mit der Bürgerarbeit habe ich halt mal drei Jahre sowas wie einen festen Job gehabt. Ich habe mich da gut eingelebt, habe Freude an der Arbeit in der Kantine, habe mich voll da reingesteigert. Natürlich habe ich da gehofft, dass es irgendwie weitergeht. Das Ehrenamt ist für mich besser als nichts, auch wenn ich viel weniger Stunden arbeiten darf und weniger Geld bekomme. Ich mach das, damit ich nicht nur zu Hause rumsitze und an meine vier Wände schaue. So komme ich mal unter Leute, ich muss raus.
O-Ton Arbeitsmarkt: Gibt es keine Alternativen für Frau Rubner und die anderen ehemaligen Bürgerarbeiter?
Odoj: Die Arbeitsmarktpolitik gibt kaum noch Förderoptionen her. Wir haben noch vier Ein-Euro-Job-Plätze, aber ansonsten keinen Spielraum. Schon gar nicht zu den Konditionen der Bürgerarbeit. Und am regulären Arbeitsmarkt gibt es kaum Perspektiven. Gerade in einer ländlichen Region wie hier. Bei uns liegt die Arbeitslosenquote bei etwa 11 Prozent. Und wir haben hier schwer vermittelbare Leute, die im Schnitt 15 Jahre aus dem Arbeitsmarkt raus sind. Sie haben häufig psychische Erkrankungen, teilweise Suchtprobleme, sind ohne Ausbildung, haben oft auch eine Lernbehinderung und kämpfen mit gesundheitlichen Schwierigkeiten.
O-Ton Arbeitsmarkt: Wie ist das bei Ihnen, Frau Rubner?
Rubner: Ich bin durch die Wende arbeitslos geworden. Danach habe ich nochmal eine Stelle im Metallbau gefunden, die ich aber wegen Einsparungen dort auch wieder verloren habe. Seitdem bin ich jetzt beim Netz. Vor der Bürgerarbeit hatte ich schon Ein-Euro-Jobs. Viele freie Arbeitsstellen gibt es in Oelsnitz einfach nicht und da ich keinen Führerschein habe, ist es für mich sehr schwer. Ich bin auch schon so lange draußen, seit ungefähr zehn Jahren. Seit ich beim Netz bin, habe ich nichts mehr Festes gefunden.
Kebschull: Ich würde Frau Rubner gerne anstellen, da wir aber gerade so die Selbstkosten und die Kosten für die Ehrenamtlichen erwirtschaften, ist dies ohne großzügige Förderung nicht möglich. In unserem Arbeitsfeld gibt es keine Refinanzierung und auch keine sonstigen Zuschüsse. Ich bin gerade auf der Suche nach einer Fördermöglichkeit für Frau Rubner, das ist aber sehr schwierig.
O-Ton Arbeitsmarkt: Also sorgen die Sparmaßnahmen der Regierung auf der einen und die Motivation der Langzeitarbeitslosen auf der anderen Seite dafür, dass das Ehrenamt arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ersetzt. Wie beurteilen Sie das?
Kebschull: Selbstverständlich wäre es besser, die Menschen würden weiter arbeitsmarktpolitisch gefördert. Aber auch im Ehrenamt erhalten sie sich ihre Arbeitsfähigkeit und ihren strukturierten Tagesablauf. Dies ist ja für jeden Einzelnen wichtig und wenn man so will besser als nichts. Grundsätzlich müssten unsere Politiker aber endlich lernen, dass es immer Menschen geben wird, die eine langfristige Förderung benötigen. Für uns ist das Ehrenamt zurzeit leider die einzige Möglichkeit, ihnen zu helfen und unsere Einrichtung weiterzuführen.
Die Alternative wäre, wir würden auf Integrationsprojekte umsteigen. Dann hätten wir zwar Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen geschaffen, aber die Langzeitarbeitslosen würden allein gelassen. Diese Klientel benötigt genauso eine Förderung wie Behinderte oder psychisch Kranke. Dies wird von der Politik aber falsch eingeschätzt. Sie ist der Meinung, wenn jemand einen Berufsabschluss hat, ist er auch irgendwie integrierbar. Wir machen da andere Erfahrungen. Selbst nach den drei Jahren Bürgerarbeit gibt es Teilnehmer, die noch nicht oder nicht mehr am ersten Arbeitsmarkt unterkommen.
O-Ton Arbeitsmarkt: Was bedeuten die Sparmaßnahmen für den Träger?
Odoj: Uns fehlen die Bürgerarbeitsplätze natürlich auch. Um zum Beispiel die Öffnungszeiten des Sozialkaufhauses und die günstigen Preise aufrechterhalten zu können, müssen wir mehr Ehrenamtliche beschäftigen, insgesamt sind es jetzt 15 Personen. Aber natürlich ist es auch schwierig, die Leute für das Ehrenamt zu begeistern, weil die Aufwandsentschädigung so gering ist. Momentan können wir uns aber noch relativ gut über Wasser halten. Das Jobcenter beziehungsweise die Agentur für Arbeit stellt uns auch von Zeit zu Zeit sogenannte Probearbeitsverhältnisse zur Verfügung. Hier bekommen langzeitarbeitslose Reha-Fälle die Möglichkeit, für drei Monate in Voll- oder Teilzeit für einen ortsüblichen Lohn zu arbeiten. Es müsste aber mehr solche oder ähnliche Maßnahmen geben.
O-Ton Arbeitsmarkt: Was wünschen Sie sich von der Arbeitsmarktpolitik des Bundes?
Odoj: Mehr Nachhaltigkeit in den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Die Leute sollten nicht so fallen gelassen werden. Die Bürgerarbeiter sind jetzt nach drei Jahren ohne Anschlussperspektive im Prinzip so weit wie zuvor. Die besonders arbeitsmarktfernen Langzeitarbeitslosen brauchen eine dauerhafte Förderung.
Kebschull: Selbstverständlich benötigt man hierzu aber auch Anleiter, ähnlich wie in den Werkstätten für behinderte Menschen. Wenn dazu noch eine sozialpädagogische Begleitung kommt, wird eine Integration auf den ersten Arbeitsmarkt über eine lange Zeit möglich. Ein positives Modell ist der Passiv-Aktiv-Transfer. Außerdem wäre mehr Arbeitsmarktnähe sinnvoll. Die Bürgerarbeit war ja leider so angelegt, dass die Tätigkeiten zusätzlich und neu sein sollten, um nicht mit dem ersten Arbeitsmarkt zu konkurrieren. Das ist ein grundsätzliches Problem bei den geförderten Arbeitsplätzen.
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