22. Dezember 2014
(o-ton) Im Sommer mehrten sich die Berichte über eine europäische Arbeitslosenversicherung. Inzwischen ist es ruhig geworden um die Pläne des ehemaligen EU-Kommissars László Andor. Ist die Idee passé? O-Ton hat mit Europaabgeordneten von CDU, SPD und Grünen über den Stand der Diskussion gesprochen.
Kurz vor Ende seiner Amtszeit als EU-Kommissar gab es noch einmal viel Aufmerksamkeit für László Andor. Seine Pläne für eine europäische Arbeitslosenversicherung sorgten vor allem in Deutschland für Aufregung – und teils herbe Kritik. Groß war die Sorge, man müsse zukünftig die Arbeitsmarktprobleme der wirtschaftlich strauchelnden Nachbarn finanzieren und mutiere zum Zahlmeister der gesamten EU. Andor hingegen propagierte die gemeinsame europäische Arbeitslosenversicherung als einen Stabilisator der Euro-Zone in Wirtschaftskrisen, von dem alle Mitgliedsstaaten profitierten. Es gehe kein Weg daran vorbei, künftig mehr Gelder zwischen den Euro-Ländern umzuverteilen, urteilte er.
40-prozentige Lohnersatzleistung für sechs Monate
Weit ausgereift waren die Ideen Andors im Sommer noch nicht – und boten auch deshalb viel Raum für Spekulationen und Panikmache. Andors Pläne sahen vor, dass bei Arbeitslosigkeit 40 Prozent des letzten Einkommens der Betroffenen sechs Monate lang aus der europäischen Arbeitslosenversicherung getragen würden. Die nationalen Versicherungen könnten diesen Betrag im ersten halben Jahr aufstocken und anschließend wieder vollständig übernehmen. Die europäische Arbeitslosenversicherung würde so Belastungen durch steigende Kurzzeitarbeitslosigkeit in Wirtschaftskrisen auffangen, während Mitgliedstaaten mit hoher Langzeitarbeitslosigkeit hingegen kaum profitieren würden.
Finanziert werden solle die Leistung aus einem Europäischen Arbeitslosenversicherungsfonds, an den die Mitgliedsstaaten Beiträge überweisen. Im Gegenzug würden sie, je nach Höhe der Arbeitslosigkeit, Gelder für die Auszahlung des europäischen Arbeitslosengeldes zurück erhalten. Alternativ könnten auch nur die Netto-Ströme ausgezahlt beziehungsweise eingezogen werden.
Italienische Ratspräsidentschaft treibt Pläne voran?
Seit dem Ende von Andors Amtszeit ist es ruhig um die Pläne geworden. Italien, das aktuell die Ratspräsidentschaft innehat, wollte das Thema im Sommer noch zu einem zentralen Projekt seiner Amtszeit machen. Tatsächlich wurde ein Gutachten bei der Denkfabrik Bruegel in Auftrag gegeben. Viel Beachtung hat es allerdings nicht erfahren. Das mag auch an den zurückhaltenden Ergebnissen liegen. Denn Bruegel sieht die Einführung einer europäischen Arbeitslosenversicherung als Mammut-Vorhaben, dessen Umsetzung Jahre bräuchte.
Die nationalen Versicherungssysteme seien aktuell zu unterschiedlich. Bevor über eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung nachgedacht würde, müssten diese daher zunächst angepasst und auf ein Mindestniveau gehoben werden. Zudem seien nationale Verwaltungen zu synchronisieren oder eine europäische Agentur zu gründen. Und man müsse klären, ob die Versicherung für die EU-18 oder EU-28 gelten solle.
Eine europäische Arbeitslosenversicherung sei daher keineswegs die Lösung, um kurzfristig für eine Stabilisierung der Euro-Zone zu sorgen. Andere Mechanismen wie einen europäischen Investmentplan hält Bruegel hier für deutlich sinnvoller, weil sie schneller greifen könnten.
Europaabgeordnete: Baldige Umsetzung unwahrscheinlich
Ähnlich zurückhaltend äußerten sich auch die deutschen Europaabgeordneten im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten Thomas Mann (CDU), Terry Reintke (Grüne) und Jutta Steinruck (SPD).
Für Jutta Steinruck sind die Pläne Andors grundsätzlich ein Schritt in die richtige Richtung. Eine europäische Arbeitslosenversicherung könne den europäischen Stabilitätsmechanismus sinnvoll unterstützen, urteilt sie. Solle die Wirtschafts- und Währungsunion eine Chance auf Erfolg haben, benötige sie ein Instrument zum konjunkturellen Ausgleich. Die Debatte um Deutschland als Zahlmeister ist ihrer Meinung nach polemisch. Auch Deutschland sei vor konjunkturellen Krisen nicht gefeit, das würde aktuell vergessen.
Da aber weder konkrete Vorschlägen geschweige denn ein Gesetzesvorschlag der Kommission vorliegen, sei es nicht möglich, sich endgültig zum Thema zu positionieren, resümiert Steinruck. Es gebe schlichtweg noch zu viele offene Fragen. Weil für eine europäische Arbeitslosenversicherung aber grundsätzlich die Kompetenzen der EU auf den Bereich der Sozialversicherung ausgeweitet werden müssten und damit eine Veränderung der europäischen Verträge nötig sei, sei man noch viele Schritte von einer tatsächlichen Umsetzung entfernt.
„Es wird keine dauerhaften Geber- oder Nehmerländer geben“
Terry Reintke von den Grünen hält eine europäische Arbeitslosenversicherung ebenfalls für einen sinnvollen Mechanismus zur Stabilisierung der Euro-Zone. Zudem sei sie „ein Kriseninterventionsmechanismus, der direkt bei den Menschen ankomme.“ Die Sorge, dass wirtschaftlich starke Staaten dauerhaft für die Arbeitslosen anderer Mitgliedstaaten aufkommen müssten, hält sie für Unsinn, da ausschließlich kurzfristige Arbeitslosigkeit versichert sei und die Zahlung nach sechs Monaten ende. Große Finanzströme zwischen den Ländern kämen daher nur bei akuter Neuarbeitslosigkeit auf.
„Es wird keine dauerhaften Geber- oder Nehmerländer geben, sondern periodisch werden immer wieder einzelne Länder geben und nehmen“, erklärt die EU-Abgeordnete. Das zeigten auch diverse Simulationsrechnungen sowie eine Studie, die die Wirkung einer potentiellen europäischen Arbeitslosenversicherung in den letzten zwanzig Jahren berechnet hat. Auch Deutschland hätte demnach in den Jahren der Vorkrise (2003 bis 2005) zu den Nettoempfängern gezählt. Hinzu käme, dass Deutschland als Exportnation grundsätzlich von einer größeren Stabilität in der Euro-Zone profitiere.
Trotz vieler Argumente für eine europäische Arbeitslosenversicherung sieht Reintke derzeit von Seiten des Rates keine große Bereitschaft, das Thema weiter voranzubringen. Auch die Kommission sei bei diesem Thema sehr viel defensiver geworden. Die Grünen sähen die europäische Arbeitslosenversicherung aber weiterhin als Konzept, das in der Diskussion gehalten und weiterentwickelt werden sollte.
Thomas Mann von der CDU hält die bisherigen Pläne für zu unausgegoren. Eine breite Diskussion zum Thema sei notwendig, das schaffe auch Akzeptanz in der Bevölkerung. Grundsätzlich sei aber mehr aktive Arbeitsmarktpolitik, wie beispielsweise die Jugendgarantie, die temporäre Unterstützung für Notfallsituationen am Arbeitsmarkt bereitstellt, sinnvoller als eine gigantische passive Umverteilung.
Die Wissenschaft befasst sich mit Konzepten und Umsetzungsmöglichkeiten
In der Wissenschaft hingegen ist die Debatte noch in vollem Gange. Zahlreiche Institute haben zuletzt Studien zur Wirksamkeit und potentiellen Umsetzung vorgelegt. Darunter beispielsweise das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, das zu dem Schluss kommt, eine europäische Arbeitslosenversicherung hätte die Probleme der besonders von Arbeitslosigkeit betroffenen Staaten zu einem bedeutenden Teil abmildern können. Allerdings wäre es in den betrachteten Jahren zwischen 2000 und 2013 zu einer deutlichen Umverteilung zu Ungunsten von wirtschaftsstarken Mitgliedstaaten gekommen und es hätte durchaus permanente Geber- und Empfängerländer gegeben.
Deutsche Bank Research hingegen hält es für möglich, eine EU-Arbeitslosenversicherung so zu gestalten, dass sie nicht zwangsläufig zu Umverteilung zwischen Ländern führt. Dazu müssten die Zahlungen nur dann geleistet werden, wenn die Arbeitslosenquote stark vom langjährigen nationalen Gleichgewicht abweiche.
Letztlich hat Andor mit seinen Plänen einer europäischen Arbeitslosenversicherung also ein Thema angestoßen, das konzeptionell noch in den Kinderschuhen steckt. Entsprechend entwickelt die Wissenschaft aktuell Szenarien und füllt die noch unausgereiften Pläne des ehemaligen EU-Kommissars mit Umsetzungsideen. Die politische Realisation liegt aber wohl noch in weiter Ferne.
Zum Weiterlesen:
Centrum für Europäische Politik, Die Europäische Arbeitslosenversicherung