5. Oktober 2016
Die SPD NRW fordert einen Sozialen Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose. Beim gestrigen Landtagstalk hat sie Details und Möglichkeiten mit Experten und Praktikern diskutiert. Das Fazit: Das Ob ist längst keine Frage mehr, wohl aber das Wie.
In Nordrhein-Westfalen sind mehr als 300.000 Menschen von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. Viele von ihnen schaffen trotz guter Konjunktur den Schritt aus der Arbeitslosigkeit in ein Beschäftigungsverhältnis nicht mehr alleine. Darauf hat zuletzt der Arbeitslosenreport NRW hingewiesen. Die SPD fordert daher einen dauerhaften öffentlichen Beschäftigungssektor, den so genannten Sozialen Arbeitsmarkt. „Statt Arbeitslosigkeit wollen wir sinnstiftende Arbeit finanzieren.“, so die Fraktion. Am gestrigen Dienstag, den 4. Oktober, hat die SPD NRW Experten und Praktiker in den Landtag geladen, um Chancen und die praktische Umsetzung eines sozialen Arbeitsmarktes zu diskutieren. Gastredner waren Prof. Dr. Stefan Sell von der Hochschule Koblenz und Dr. Frank Bauer vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in NRW.
NRW braucht einen Sozialen Arbeitsmarkt
MdL Michael Scheffler fasste zu Anfang der Veranstaltung die Forderungen seiner Fraktion zusammen. NRW brauche einen Sozialen Arbeitsmarkt, das sei absolut unstrittig – auch vor dem Hintergrund der betroffenen Kinder, die mit den Langzeitarbeitslosen in Hartz-IV-Haushalten lebten. Der Soziale Arbeitsmarkt müsse dauerhaft angelegt sein, aber immer auch die Möglichkeit des Übergangs in den ersten Arbeitsmarkt offen halten. Die Teilnehmer seien nach Tarif beziehungsweise Mindestlohn zu entlohnen und die Finanzierung solle über den Passiv-Aktiv-Transfer realisiert werden. Geld, das bislang für den Bezug von SGB II Leistungen ausgegeben wird, würde dann in die Förderung von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung fließen. Der Soziale Arbeitsmarkt müsse zudem im Sozialgesetzbuch II verankert werden und die Förderung auf Regionen mit besonders starker Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit fokussieren.
Die Sonderprogramme des Bundes von Arbeitsministerin Andrea Nahles kritisierte Scheffler als nicht passgenau. Zudem rächten sich die Einsparungen bei den Fördermitteln für die Arbeitsmarktpolitik bei Langzeitarbeitslosen. Das landeseigene Programm Öffentlich geförderte Beschäftigung hingegen laufe gut und könne als Blaupause für den Bund gelten.
IAB NRW: Circa 70.000 potentielle Teilnehmer
Dr. Frank Bauer vom IAB NRW bezifferte die potentielle Teilnehmerzahl für einen Sozialen Arbeitsmarkt in NRW auf etwa 70.000 Personen. Bauer berichtete zudem von der Evaluation des Landesprogramms in NRW. Durch eine sorgfältige Auswahl der Teilnehmer habe es kaum Fehlselektion, Creaming- oder Einsperreffekte gegeben.
Bauer begegnete zudem dem Einwand, mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen Teilhabe erreichen zu wollen, sei „exkludierende Inklusion“, indem man die Teilnehmenden in einem separaten Arbeitsmarkt beschäftige. Er berichtete vom Leistungsstolz, den die Teilnehmenden zeigten, einer regulär bezahlten, sozialversicherungspflichtige Arbeit nachzugehen und von einem erhöhten subjektiven Teilhabeempfinden. Dennoch müsse man erkennen, dass etwa 20 Prozent der Teilnehmern auch in den kommenden zwei oder drei Jahren keine Chancen am regulären Arbeitsmarkt hätten. Eine langfristige Förderung sei hier sinnvoll.
„Sonderprogramme sind bloß Aktivitätssimulation“
Prof. Dr. Stefan Sell von der Hochschule Koblenz kritisierte die extremen Einsparungen bei der öffentlich geförderten Beschäftigung in den letzten Jahren. Die Sonderprogramme von Andrea Nahles seien zudem die falschen Maßnahmen für die falsche Zielgruppe und daher lediglich „Aktivitätssimulation“. Er plädierte dafür, die Arbeitsmarktförderung vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Er forderte, den gesamten Bereich der Arbeitsmarktpolitik neu zu ordnen. Für die Betroffenen grenze das aktuelle Pendeln zwischen Arbeitslosigkeit und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen an vorsätzlicher Körperverletzung. Das Loch, in das die Personen nach Ende ihrer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme fielen, sei häufig größer als das, aus dem man sie zuvor herausgeholt haben.
Sell verwies auf sein Papier „Hilfe zur Arbeit 2.0“, in dem er eine radikale Rechtsvereinfachung in der Arbeitsmarktpolitik fordert, die sich am alten Bundessozialhilfegesetz orientiert. Eine Wiederbelebung der Paragraphen 18 bis 20 des alten Bundessozialhilfegesetzes würden für mehr Flexibilität sorgen, denn in ihnen seien zum einen die Arbeitsgelegenheit nach Mehraufwandsentschädigung („Ein-Euro-Jobs“) enthalten, die man in wenigen Fällen arbeitstherapeutisch nutzen könne und zum anderen Arbeitsgelegenheiten mit sozialversicherungspflichtigen Entgelt (als Normalfall einer ordentlichen öffentlich geförderten Beschäftigung) bis hin zu individuellen Lohnkostenzuschüssen an Arbeitgeber, die man im begründeten Einzelfall verlängern könne. Zusammen mit Qualifizierungsmöglichkeiten hätte man den gesamten Instrumentenkoffer zur Verfügung, mit dem sich dann die von vielen Praktikern dringend angemahnten Förderketten strukturieren ließen.
Beschäftigung bei Kommunen, Trägern oder in der freien Wirtschaft?
Sell beurteilte den Vorstoß des nordrhein-westfälischen DGB, öffentlich geförderte Beschäftigung nur im kommunalen Bereich zu schaffen, zudem kritisch und setzte sich ausdrücklich für eine marktnahe öffentlich geförderte Beschäftigung ein, die individuelle Nachteile der Arbeitslosen mit Lohnkostenzuschüssen bei allen Arbeitgebern, nicht nur bei gemeinnützigen Unternehmen oder kommunalen Trägern, ausgleichen könne.
In der nachfolgenden Diskussionsrunde reagierte ein Vertreter des DGB NRW auf Prof. Sells Kritik und nannte die Fokussierung auf Arbeit bei den Kommunen nicht ausschließend. Beschäftigung bei gemeinnützigen Trägern sei durchaus denkbar. Auch solle man über eine Öffnung für die freie Wirtschaft nachdenken, auf deren Seite man aber von hoher Skepsis gegenüber den besonders arbeitsmarktfernen Menschen ausgehen könne.
Ein Vertreter der Stadt Dortmund verteidigte die Fokussierung auf die Kommunen. Es erhöhe die Akzeptanz in der Bevölkerung, wenn die öffentlich geförderten Arbeitsplätze in Bereichen entstünden, von denen alle Bewohner profitierten.
Eine Arbeitsvermittlerin warnte davor, die Teilnehmenden für die freie Wirtschaft abzuschreiben. Es gebe sehr wohl Arbeitgeber, die Interesse an den Menschen hätten, vor allem im Handwerk. Hier sei es wichtig, den Übergang zu fördern. Die Orientierung in Richtung ersten Arbeitsmarkt solle man daher nicht aus den Augen verlieren.
Zum Ende der Veranstaltung resümierte MdL Daniela Jansen, die Politik habe weniger ein Erkenntnis-und viel mehr ein Umsetzungsproblem. Tatsächlich habe die SPD-Fraktion aber schon viele Ideen und Anregungen von Experten und Praktikern in ihre Anträge zum Sozialen Arbeitsmarkt aufgenommen, sodass man zumindest auf einem guten Weg sei. Laut Jansen hake es allerdings weniger im SPD-geführten Arbeits- und mehr im Finanzministerium des Koalitionspartners im Bund.
Zum Weiterlesen:
SPD Fraktion NRW, Landtagstalk: Sozialer Arbeitsmarkt für NRW
Landtag NRW, Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN