24. Januar 2013
(o-ton) 40 Prozent aller Alleinerziehenden in Deutschland beziehen Arbeitslosengeld II. Das geht aus einer Analyse der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervor. Vorurteile von Arbeitgebern und geringe Unterstützung durch die Jobcenter erschweren die Erwerbstätigkeit. Trotzdem sind immer mehr Alleinerziehende erwerbstätig. Ihre Arbeitsmotivation ist besonders hoch, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) berichtet.
Alleinerziehende sind eine der Problemgruppen am deutschen Arbeitsmarkt. 2011 bezogen fast 40 Prozent der rund 1,6 Millionen Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern – zumeist Frauen – Arbeitslosengeld II. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen hat arbeitslose Alleinerziehende deshalb zum Handlungsschwerpunkt erklärt und will die Perspektiven arbeitsloser Alleinerziehender verbessern. Im Sommer 2011 starteten zwei ESF-Bundesprogramme, „Gute Arbeit für Alleinerziehende“ und „Netzwerke wirksamer Hilfen für Alleinerziehende“.
In diesem Rahmen entstand auch das „Integrative Netzwerk für eine nachhaltige Unterstützung Alleinerziehender im Kreis Ahrweiler“. Wie die spezifischen Arbeitsmarktprobleme von Single-Müttern aussehen, erläutert Dr. Christa Lenz, die seit 20 Jahren arbeitssuchende Frauen in der Beratungsstelle „Frau und Beruf“ in Bad Neuenahr-Ahrweiler berät und mit dem Netzwerk unterstützt.
„Es ist schwer, aus dem „Hartz IV“-Kreislauf herauszukommen“
Frau Lenz hält die schwierige Kinderbetreuungssituation für das zentrale Arbeitsmarktproblem Alleinerziehender: „Wenn eine junge Mutter keinen Rückhalt in der Familie oder sonstige Möglichkeiten hat, ist sie in den ersten drei Jahren darauf angewiesen, das Kind selbst zu betreuen, weil es keine oder zu wenige Betreuungsangebote gibt.“
„Und selbst wenn mit drei Jahren ein Kindergartenplatz da ist, sind Kinderbetreuungszeiten und Arbeitszeiten oft nicht miteinander vereinbar“, resümiert sie. Hinzu kommt, dass viele Alleinerziehende immer wieder mit ihrem schlechten Gewissen zu kämpfen hätten, wenn sie ihre Kinder fremdbetreuen lassen. „Sie wollen nicht als Rabenmutter gelten“, so Lenz.
„Sind alleinerziehende Mütter erst in den Kreislauf der Arbeitslosigkeit geraten, ist die Rückkehr in reguläre Arbeit problematisch“, so Frau Lenz. Ihrer Einschätzung nach haben es Frauen generell schwerer, Arbeit zu finden. „Frau, alleinerziehend und dann noch ausbildungslos oder schlecht qualifiziert – das ist quasi tödlich“, sagt sie.
„Ich hätte von 8 bis 16 Uhr arbeiten können, aber es wollte mich niemand.“
Margarete aus der Nähe von Berlin* kämpft seit vier Jahren vergeblich um ihren Wiedereinstieg ins Berufsleben. Die 46-jährige Mutter von zwei Söhnen (7 und 10) ist gelernte Fremdsprachenkorrespondentin. Vor der Geburt ihres ersten Sohnes arbeitete sie als Teamsekretärin. Die Rückkehr ins alte Unternehmen war nach sechsjähriger Elternzeit nicht mehr möglich – zu viel hatte sich in der Zwischenzeit verändert.
Seither hat sie über 200 Bewerbungen geschrieben. Der Status „alleinerziehend“ wurde ihr meist bereits im Vorstellungsgespräch zum Verhängnis, sagt sie. Für ihre gute Qualifikation und ihre zahlreichen Weiterbildungen hätten sich die Personaler kaum interessiert. Und das, obwohl die Kinderbetreuung jederzeit gewährleistet war. Kein Einzelfall, sagt Christa Lenz. „Alleinerziehende gelten immer als diejenigen, die die größten Fehlzeiten aufweisen. Dem ist aber statistisch gesehen gar nicht so.“
Jobcenter sind häufig überfordert
Margarete ist auch mit der Unterstützung durch das Jobcenter unzufrieden. Ihrem Arbeitsvermittler sei egal, wo sie wieder beruflich Fuß fasst, ob als Lageristin oder Küchenhilfe. „Hauptsache ich verlasse das System“, sagt sie.
Auch Frau Lenz sieht hier deutlichen Verbesserungsbedarf. „Jobcenter sehen die Alleinerziehende als eine Klientel unter vielen.“ Ihr erstes Ziel sei es, dass die Frauen rasch aus dem „Hartz IV“-Bezug herauskommen. „Natürlich könnten die Berater mehr Unterstützung leisten, sie sind damit aber oft überfordert“, berichtet die Expertin. „Oftmals fehlt die Zeit, um auf die vielfältigen Problemlagen der Alleinerziehenden einzugehen“, ergänzt Lenz. Sie plädiert für eine ganzheitliche Unterstützung der Alleinerziehenden. „Es müsste eine zentrale Anlaufstelle geben, die die unterschiedlichen Angebote koordiniert und eine kontinuierliche Betreuung der Frauen sicherstellt.“
Ein Umdenken in der aktiven Arbeitsförderung der Alleinerziehenden fordert auch die SPD-Fraktion. Um für Alleinerziehende Chancengleichheit am Arbeitsmarkt herzustellen, sei es wichtig, auf ihre speziellen Lebensumstände einzugehen, heißt es in einem Antrag der Fraktion an die Bundesregierung.
Alleinerziehende sind hoch motiviert und kompromissbereit
Eine Auswertung des „Panels Arbeitsmarkt und Soziale Sicherung 2009/2010“ im Auftrag des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt, dass arbeitslose alleinerziehende Mütter nach eigenen Angaben häufiger aktiv nach Arbeit suchen als Mütter in Paarbeziehungen. Die hohe Arbeitsmotivation Alleinerziehender äußert sich außerdem in einer hohen Kompromissbereitschaft bei der Jobsuche. Alleinerziehende „Hartz IV“-Empfängerinnen seien dazu bereit, Abstriche bei den Arbeitsbedingungen, dem Anforderungsniveau und dem Einkommen aus der zukünftigen Arbeitsstelle zu machen, so das IAB. Bei Konditionen, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erschweren, sind sie jedoch weniger flexibel. Lange Anfahrtswege, Wohnortwechsel oder ungünstige Arbeitszeiten würden von Single-Müttern selten in Kauf genommen, um eine Arbeitsstelle zu finden.
Auch Margaretes Ansprüche an die potenzielle Arbeitsstelle haben sich mittlerweile verringert. Wichtig ist ihr lediglich, dass sie den Aufgaben gerecht werden kann und ihr Gehalt zumindest die Leistungen aus der Grundsicherung überschreitet. Ideal wären 30 bis 35 Wochenstunden. Um Teilzeitstellen herrscht jedoch große Konkurrenz. Wie aus einer Analyse der Bundesagentur für Arbeit hervorgeht, arbeitete 2011 mehr als die Hälfte (51,7 Prozent) aller erwerbstätigen Alleinerziehenden in vermindertem Stundenumfang. Vor zehn Jahren waren es noch etwa 41 Prozent. Fast 34 Prozent der befragten arbeitslosen Alleinerziehenden wünschen sich eine Arbeitsstelle in Teilzeit. Bei allen Arbeitslosen liegt der Anteil hingegen nur bei rund 13 Prozent.
Allen Schwierigkeiten zum Trotz: Immer mehr Alleinerziehende arbeiten
Trotz aller Probleme bei der Stellensuche hat der Anteil der erwerbstätigen Alleinerziehenden in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen und liegt inzwischen bei rund 71 Prozent. Zum Vergleich liegt die Erwerbstätigenquote in der Gesamtbevölkerung mit rund 73 Prozent lediglich etwa 2,5 Prozent darüber. Dass die Gesamtbevölkerung einen deutlich niedrigeren Anteil an Teilzeitbeschäftigten (20 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten) aufweist als die Personengruppe der Alleinerziehenden (51,7 Prozent) relativiert den Vergleich jedoch. Umgerechnet in Vollzeitäquivalente liegt der Anteil Erwerbstätiger in der Gesamtbevölkerung deutlich über dem der Alleinerziehenden.
Eine hohe Arbeits- und Kompromissbereitschaft bewies auch die 38-jährige Carina aus Frankfurt*. Nach achtjähriger Erziehungspause hatte die junge Mutter von zwei Töchtern (heute 13 und 17 Jahre) wieder begonnen, bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber zu arbeiten. Dann trennte sich ihr Mann von ihr und sie musste eine Lösung finden, um allein für sich und ihre Kinder aufzukommen.
Von staatlichen Hilfen abhängig zu sein, lehnte sie entschieden ab. Sie versuchte daher, den Stundenumfang ihrer Arbeitsstelle zu erhöhen, stieß bei ihrem Arbeitgeber aber auf Widerstand. Im vergangenen Jahr stimmte ihr Arbeitgeber einer Aufstockung ihrer Stelle auf Vollzeit zu. Lieber wäre Carina eine Vier-Tage-Woche gewesen, ideal, um Familie und Beruf zu vereinbaren. Damit war ihr Arbeitgeber jedoch erneut nicht einverstanden. Körperlich ist sie heute oft am Limit. In ihrem Tagesablauf muss das Zeitmanagement stimmen. Dennoch arbeitet Carina sehr gerne. Ihr war es immer wichtig, ihren Kindern ein Vorbild zu sein.
(* Name und Ort von der Redaktion geändert)
Dieser Beitrag ist eine Seminararbeit von Lisa Weinand, Hilke Kristen, Riecke Kupp, Sina Röhrig und Selina Shafiq, Studentinnen der Hochschule Koblenz. Sie wurde erstellt im Rahmen des Seminars „Angewandte Sozialwissenschaften“ unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Sell.
Zum Weiterlesen:
Analyse des Arbeitsmarktes für Alleinerziehende in Deutschland 2011, Bundesagentur für Arbeit
Internetauftritt der Beratungsstelle Frau und Beruf
Projektbeschreibung INA -Integratives Netzwerk für eine nachhaltige Unterstützung Alleinerziehender (online nicht mehr abrufbar)