21. August 2019
Erneut hat eine Überprüfung des Bundesrechnungshofs massive qualitative Mängel an den Eingliederungsvereinbarungen im Hartz-IV-System festgestellt. Diese seien häufig fehlerhaft und enthalten schwammige Formulierungen. Da der Missstand bereits seit Jahren besteht, stellt der Bundesrechnungshof nun die Sinnhaftigkeit der flächendeckenden Abschlüsse von Eingliederungsvereinbarungen infrage.
Die Arbeitsvermittler in den Jobcentern sind per Gesetz dazu verpflichtet, mit allen Erwerbsfähigen im Hartz-IV-Bezug eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen. Die Eingliederungsvereinbarung soll der Integration in Arbeit und der Beendigung des Hartz-IV-Bezugs dienen. Sie beinhaltet sowohl die Tätigkeiten, die das Jobcenter hierzu unternimmt, wie zum Beispiel die Übernahme von Bewerbungskosten oder die Finanzierung einer Weiterbildung, als auch die Pflichten der Leistungsbeziehenden, wie zum Beispiel das Schreiben von Bewerbungen oder die Teilnahme an einer Maßnahme. Die Eingliederungsvereinbarung wird im Regelfall am Ende eines persönlichen Gesprächs zwischen Leistungsbeziehendem und Arbeitsvermittler abgeschlossen und soll eigentlich individuell abgestimmte und konkrete Inhalte festschreiben.
Fehlerquote von 60,6 Prozent
Eine stichprobenartige Überprüfung des Bundesrechnungshofs von Eingliederungsvereinbarungen in Jobcentern in gemeinsamer Einrichtung (gE) zeigt nun jedoch zum wiederholten Male eklatante Defizite auf. Bei mehr als einem Drittel der überprüften Fälle stellte der Bundesrechnungshof Fehler beim Abschluss, Inhalt oder der Nachhaltung der Eingliederungsvereinbarung fest. In einem Viertel der überprüften Fälle wurde überhaupt keine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen.
Zwar kann das Jobcenter in Ausnahmefällen auf den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung verzichten, jedoch sind die Arbeitsvermittler dazu verpflichtet, diese Ermessensentscheidung ausreichend zu dokumentieren. Der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung muss beispielsweise nicht zwingend erfolgen, wenn die erwerbsfähige Person bereits in den Arbeitsmarkt integriert ist (sogenannte „Aufstocker“) und eine Ausweitung der Beschäftigung nicht möglich ist, oder, wenn die Person etwa aufgrund der Sorgearbeit in der Familie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht.
Inhaltliche Fehler in zahlreichen Eingliederungsvereinbarungen festgestellt
Der Bundesrechnungshof stellte fest, dass insgesamt 220 von 443 in der Stichprobe überprüften Eingliederungsvereinbarungen inhaltliche Fehler enthielten. Hochgerechnet auf alle erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher wären hiervon über eine Million Personen betroffen. Als fehlerhaft wurden Eingliederungsvereinbarungen dann bewertet, wenn die Fördermaßnahmen des Jobcenters („Fördern“) oder die Pflichten des Leistungsberechtigten („Fordern“) nicht oder unzureichend in der Eingliederungsvereinbarung aufgeführt waren. In den meisten Fällen führte eine unkonkrete Festlegung des „Forderns“ zu einer Beanstandung durch den Bundesrechnungshof.
Eine konkrete Formulierung des „Forderns“ ist aus Sicht des Bundesrechnungshofs vor allem deshalb entscheidend, weil sich hieraus mögliche Sanktionstatbestände ableiten lassen. Werden die Eigenbemühungen des Leistungsberechtigen beispielsweise in Art und Umfang nicht genau festgelegt, könne anschließend auch nicht geprüft werden, ob der Leistungsberechtigte dieser Pflicht nachgekommen ist. Der Bundesrechnungshof moniert darüber hinaus, dass die Einhaltung der Eingliederungsvereinbarung ohnehin in vielen Fällen nicht nachgehalten würde und daher mögliche Sanktionstatbestände nicht erfasst würden. Auf die Gründe für diese Beobachtung geht die Untersuchung des Bundesrechnungshofs nicht ein. Es ist daher auch nicht klar, ob die Mitarbeiter in den Jobcentern die Einhaltung aus Nachlässigkeit oder sogar absichtlich aus Nachsicht gegenüber den Leistungsberechtigten nicht überprüft hatten.
Bei der Eingliederungsvereinbarung handelt es sich ohnehin nicht zwingend um eine Vereinbarung im gemeinsamen Einverständnis zwischen Arbeitsvermittler und Leistungsberechtigtem. So soll die Eingliederungsvereinbarung zwar in einem persönlichen Gespräch erarbeitet und individuell für jeden Leistungsberechtigten formuliert werden. Allerdings kann die Eingliederungsvereinbarung auch einseitig durch das Jobcenter als Verwaltungsakt erlassen werden, wenn Leistungsberechtigte ihr schriftliches Einverständnis auf der Eingliederungsvereinbarung verweigern. In Verbindung damit mahnt der Bundesrechnungshof lediglich an, dass die reguläre Eingliederungsvereinbarung nicht ohne ein vorangehendes Gespräch vom Jobcenter zur Unterschrift an Leistungsberechtigte versandt werden dürfe.
Nutzen von Eingliederungsvereinbarungen auf dem Prüfstand
Die Untersuchungsergebnisse des Bundesrechnungshofs decken sich insgesamt mit denen aus vergangenen Prüfungen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Bundesagentur für Arbeit äußerten in Stellungnahmen gegenüber dem Bundesrechnungshof ihre Zustimmung zu den Ergebnissen. Dieser kritisierte ebenfalls, dass bisherige Maßnahmen zu einer Verbesserung der Qualität von Eingliederungsvereinbarungen nicht erfolgreich gewesen sind.
Daher solle nach Ansicht des Bundesrechnungshofs überprüft werden, ob die derzeitige generelle Pflicht zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung abgeschafft werden könne und diese nur noch bei „besonderen Problemlagen“ geschlossen werden müsse. Aktuell untersucht das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung den Nutzen von Eingliederungsvereinbarung für die Vermittlung von Arbeitslosen im Hartz-IV-System. Zuvor hatte eine Untersuchung der Eingliederungsvereinbarungen im System der Arbeitslosenversicherung ergeben, dass ein positiver Effekt nur für einen Teil der Arbeitslosen nachgewiesen werden konnte.
von Lena Becher
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Bild: Colourbox.de