8. März 2013
(o-ton) Laut aktuellem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen zwischen 2007 und 2012 um über 40 Prozent gesunken. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich der vermeintliche arbeitsmarktpolitische Erfolg aber lediglich als statistischer Effekt. Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe durch die „Hartz-Reformen“ erhielten zahlreiche ehemalige Sozialhilfeempfänger irrtümlich den Status arbeitslos. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen stieg dadurch 2007 auf einen absoluten Höchstwert, der in den Folgejahren 2008 und 2009 hauptsächlich durch die Korrektur der Fehlzuweisungen abgebaut wurde.
„Bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit sind spürbare Erfolge zu verzeichnen“, heißt es im aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. „Einhergehend mit der guten Arbeitsmarktentwicklung ist auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen im Berichtszeitraum zwischen den Jahren 2007 und 2012 deutlich von 1,73 Mio. auf 1,03 Mio. gesunken. Allein im Berichtszeitraum reduzierte sich die Langzeitarbeitslosigkeit damit um über 40 Prozent.“
Tatsächlich? Bei genauem Hinsehen entpuppt sich das, was hier als arbeitsmarktpolitischer Erfolg verkauft wird, als hauptsächlich statistischer Effekt, den sich die Bundesregierung bei ihrer Berechnung zunutze macht.
Erfassungsfehler bei der Einführung des SGB II („Hartz IV“-System)
Mit den „Hartz-Reformen“ wurden die Arbeitslosen- und Sozialhilfe 2005 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende („Hartz IV“) zusammengeführt. Zahlreiche ehemalige Sozialhilfeempfänger erhielten im Zuge dieser Umstellung irrtümlich den Status arbeitslos, obwohl sie dem Arbeitsmarkt tatsächlich nicht zur Verfügung standen. Das führte zu einem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosenzahl 2005 und daher im Verlauf der Jahre 2006 und 2007 zu einem deutlichen Zuwachs bei den Langzeitarbeitslosen. Im Jahresdurchschnitt 2007 war die Zahl der Langzeitarbeitslosen allein deshalb auf den absoluten Höchstwert von 1,7 Millionen Menschen angestiegen.
Dieser Höchstwert reduzierte sich in den Folgejahren durch Korrektur der Fehlzuweisungen. Daraus ergibt sich der überdurchschnittlich starke, aber hauptsächlich statistische Abbau der Langzeitarbeitslosenzahl zwischen 2007 und 2009.
Im Bericht zur Sockel- und Langzeitarbeitslosigkeit der Bundesagentur für Arbeit aus 2011 heißt es entsprechend: „In den vergangenen fünf Jahren sank die Zahl der Arbeitslosen um gut ein Drittel auf unter drei Millionen. … Allerdings können die hohen Werte in den Jahren 2005 und 2006 auch als Folge der anfänglich sehr weitreichenden Statuszuweisung „arbeitslos“ für erwerbsfähige Hilfebedürftige im Zuge der Einführung des SGB II gelten. Der deutliche Rückgang ist damit teilweise einer Bereinigung der übererfassten Fälle insbesondere in den ersten drei Jahren des SGB II geschuldet.“
Auf das Basisjahr kommt’s an
Der Blick auf die Entwicklung der Zahlen zeigt entsprechend, dass der Großteil des Rückgangs der Langzeitarbeitslosigkeit zwischen 2007 und 2012 in den Jahren 2008 und 2009 erfolgte, in denen die Korrekturen der Fehlzuweisungen vorgenommen wurden. In diesen beiden Jahren wurde die Langzeitarbeitslosenzahl statistisch um 590.000 Personen nach unten korrigiert. Das entspricht 83 Prozent des gesamten Abbaus im vermeintlichen Erfolgszeitraum der Bundesregierung.
Wenn die Bundesregierung also gerade den künstlich erzeugten Höchstwert der Langzeitarbeitslosigkeit im Jahr 2007 als Basis für ihre Berechnung wählt, schönt sie den überwiegend statistischen Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit um etwa 590.000 Menschen zu einem arbeitsmarktpolitischen Erfolg.
Um tatsächlich von arbeitsmarktpolitischen Erfolgen sprechen zu können, sind erst die Zahlen ab 2010 aussagekräftig. Erst dann lässt sich wieder von einem statistisch unbeeinflussten Abbau der offiziell ausgewiesenen Langzeitarbeitslosigkeit sprechen.
In dieser Zeit sank die Zahl der Langzeitarbeitslosen um lediglich 120.000 Personen beziehungsweise 11 Prozent, also deutlich moderater als der im Armut- und Reichtumsbericht der Bundesregierung präsentierte Erfolgswert von 40 Prozent.
Unterzeichnete Statistik zur Langzeitarbeitslosigkeit
Noch fragwürdiger erscheint der vermeintliche Erfolg beim Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit, wenn man berücksichtigt, dass die offizielle Statistik die Zahl der Langzeitarbeitslosen massiv unterzeichnet. So genannte „schädliche Unterbrechungen“ machen bisherige Langzeitarbeitslose zu „neuen“ Arbeitslosen – zumindest statistisch.
Denn was sich Unterbrechung nennt, bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Arbeitslosigkeit tatsächlich zeitweise beendet wurde. „Schädlich“ ist beispielsweise schon die Teilnahme an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme oder eine längere Krankheit. Nach dieser Unterbrechung wird die Dauer der Arbeitslosigkeit von vorne gezählt und ein neues Startdatum eingetragen. Dass die betreffenden Personen in der Zwischenzeit weder Arbeit gefunden noch den Arbeitslosengeld II-Bezug beendet haben, ist irrelevant (O-Ton berichtete).
Einen annähernden Hinweis darauf, wie stark die Statistik das tatsächliche Ausmaß der Langzeitarbeitslosigkeit verzerrt, gibt der Blick auf die Verweildauern. Sie bilden unterbrechungsfrei ab, wie lange Personen zu einem bestimmten Stichtag bereits durchgängig „Hartz IV“-Leistungen beziehen. Die Statistik zeigt: Etwa 74 Prozent aller arbeitslosen „Hartz IV“-Empfänger waren im Dezember 2011 über ein Jahr abhängig von Leistungen aus der Grundsicherung, das entspricht etwa 1,4 Millionen Menschen.
Zum Weiterlesen:
Bundesagentur für Arbeit, Sockel- und Langzeitarbeitslosigkeit
Bundesagentur für Arbeit, Dauern in der integrierten Arbeitslosenstatistik