24. August 2015
(o-ton) Vor vier Jahren startete der Bundesfreiwilligendienst. Inzwischen hat er sich nicht nur als Ersatz für den Zivildienst, sondern auch als eine wichtige Alternative für Menschen ohne Chance am Arbeitsmarkt etabliert, besonders in den neuen Bundesländern. Weil es keine Altersgrenze gibt, sind etwa ein Drittel der Teilnehmer über 27 Jahre alt – unter ihnen hauptsächlich arbeitssuchende Hartz-IV-Bezieher.
Mitte 2011 ersetzte der Bundesfreiwilligendienst (BFD) den Zivildienst und öffnete sich für einen breiteren Teilnehmerkreis. Denn der BFD ist freiwillig und auch für Frauen und über 27-Jährige möglich. Nachdem diese den Freiwilligendienst anfangs eher zögerlich nutzten, ist das Geschlechterverhältnis vier Jahre nach Einführung fast ausgeglichen und der Dienst auch bei älteren Teilnehmern sehr beliebt. So beliebt, dass die größte der bundesweiten Zulassungsstellen 2014 nur noch jüngere Bewerber annahm und den Anteil der über 27-jährigen Bufdis damit künstlich von 45 auf aktuell noch 31 Prozent aller Teilnehmer drosselte.
Dabei war bei Verzicht auf die Altersgrenze völlig offen, ob ältere Menschen überhaupt Interesse an einem Freiwilligendienst zeigen würden, der mit mindestens 20 Wochenstunden und einem Taschengeld von maximal 363 Euro sehr zeitintensiv, aber finanziell kaum reizvoll ist. Zumindest nicht für diejenigen, die Chancen auf einen regulären Arbeitsplatz haben.
Ältere Bufdis in erster Linie arbeitssuchende Hartz-IV-Empfänger
Anders hingegen für Hartz-IV-Empfänger. Für sie bedeutet das Taschengeld einen Verdienst von monatlich bis zu 200 Euro zusätzlich. Neben finanziellen Vorteilen ist der BFD zudem auch deshalb interessant, weil die Teilnehmer während ihres Dienstes nicht mehr unter dem Druck stehen, sich häufig aussichtslos auf Stellen zu bewerben oder an Maßnahmen des Jobcenters teilnehmen müssen. Im Gegensatz zum Ein-Euro-Job können sie zudem selbst entscheiden, ob, wo und in welchem Tätigkeitsbereich sie eine Stelle übernehmen.
Und so verwundert es nicht, dass mit etwa 73 Prozent ein Großteil der älteren BFDler vor Eintritt in den Freiwilligendienst arbeitssuchend war und Hartz-IV-Leistungen bezog, wie eine Befragung der evaluierenden Hertie School of Governance und des Centrums für soziale Investitionen und Innovationen der Universität Heidelberg (CSI) ergab.
Entsprechend erklärt sich auch der hohe Anteil älterer Bufdis in den neuen Bundesländern mit deutlich schwächerem Arbeitsmarkt und höheren Arbeitslosenzahlen. Hier gehören 71 Prozent der Teilnehmer zu den Über-27-Jährigen. In Sachsen-Anhalt liegt der Anteil der älteren Bufdis sogar bei 83 Prozent, in Thüringen und Brandenburg bei 77 beziehungsweise 76 Prozent.
„Vor allem für Arbeitssuchende scheint der Dienst als Alternative zum Arbeitsmarkt, der ihnen aus unterschiedlichen Gründen nicht zugänglich ist, attraktiv zu sein“, resümieren die Wissenschaftler. Auffällig sei auch, dass viele Teilnehmer zuvor Ein-Euro-Jobber waren und damit an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme teilnahmen, die fast zeitgleich zur Einführung des BFD gekürzt wurde.
Mehr Notlösung aus Mangel an Alternativen als freiwilliges Engagement
Bei Älteren ist der Dienst aus Mangel an Alternativen am ersten Arbeitsmarkt oder zu den stark reduzierten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen damit mehr eine Notlösung als ein tatsächliches freiwilliges Engagement, ergab die Befragung der Hertie School und des CSI. Während die Freiwilligen unter 27 Jahren den BFD zur persönlichen Weiterentwicklung und als sinnvolle Überbrückung der Zeit zwischen Schule und Ausbildung beziehungsweise Studium sehen, stehen bei den Über-27-Jährigen die gesellschaftliche Teilhabe durch Arbeit und der finanzielle Vorteil im Vordergrund.
„Den BFD haben wir gemacht, weil wir keine andere Möglichkeit hatten, neben Hartz IV noch einen Erwerb zu haben. Also vom Arbeitsamt kam nichts rüber, da gab es nur noch den Bundesfreiwilligendienst“, erläuterte ein Befragter seine Motivation. Ein anderer ordnete den BFD gleichrangig in eine Reihe von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen ein, die er bereits absolviert hat. „Ich arbeite da jetzt schon acht Jahre. Erst ABM, MAE, dann ehrenamtlich und jetzt dieses BFD.“
Und so sind es auch fast ausschließlich die älteren BFDler, die die maximale Dienstdauer nutzen und ihren Freiwilligendienst verlängern. Aus der Antwort auf eine Bundestagsanfrage der Linken geht hervor, dass von 9.500 Freiwilligen, die im Juni 2013 einen auf 18 Monate verlängerten Dienst leisteten, 91 Prozent älter als 27 Jahre waren. Dem Ende des Dienstes sehen diese Freiwilligen besorgt entgegen, da viele keine Perspektive für die Zeit danach haben. Der Großteil der Teilnehmenden würde gern länger weitermachen, ermittelten die Hertie School und das CSI. „Hier wird erkennbar, dass die neue Klientel völlig neue Konzepte der Begleitung, auch über das Dienstende hinaus, braucht“, urteilen die Wissenschaftler entsprechend.
Das Kontingent der 35.000 BFD-Stellen ist allerdings ausgeschöpft und eine Erhöhung bisher nicht geplant. Dabei ist die Nachfrage laut der Wohlfahrtsverbände deutlich größer. Insbesondere auf Seiten der Hartz-IV-Empfänger, die weder auf dem Arbeitsmarkt unterkommen noch Chancen auf eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme haben.
Zum Weiterlesen:
Aktuelle Statistiken zum BFD des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben
Hertie School of Governance, Experiment Altersöffnung im Bundesfreiwilligendienst