14. Januar 2019
Zehntausende Hartz-IV-Empfänger werden monatlich von den Jobcentern sanktioniert. Kritiker bewerten die Kürzungen als Verletzung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum und fordern ihre Abschaffung. Nun beraten die Richter in Karlsruhe über die Verfassungsmäßigkeit von Sanktionen.
Am 15. Januar 2019 verhandelt das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit von Sanktionen im Hartz-IV-System. Empfänger von Hartz-IV-Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) sind gesetzlich zur Einhaltung verschiedener Auflagen verpflichtet. Kommen sie sie diesen Pflichten nicht nach, kann das zuständige Jobcenter Sanktionen, also Kürzungen der Sozialleistung, aussprechen.
Im August 2018 (aktuelle Werte nur mit Wartezeit verfügbar) zählte die Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) rund 78.000 sanktionierte Hartz-IV-Bezieher. Rund 7.000 von ihnen waren „vollsanktioniert“. Ihre Leistung wurde also vollständig vom Jobcenter einbehalten. Wohlfahrtsverbände, Vereine und einzelne Politiker kritisieren die Sanktionspraxis scharf (O-Ton berichtete).
Verstoßen Sanktionen gegen das Grundgesetz?
Die Richter in Karlsruhe müssen nun prüfen, ob die Leistungskürzungen gegen das Grundgesetz verstoßen. Im Vordergrund steht die Frage, ob Sanktionen im SGB II das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletzen. Das Bundesverfassungsgericht stellt dazu einerseits die Mitwirkungsanforderungen an Hartz-IV-Bezieher und andererseits die Minderungen an sich auf den Prüfstand. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht einen Fragenkatalog veröffentlicht.
So soll beispielsweise erörtert werden, welchen Zweck Sanktionen im Hartz-IV-System haben sollen und inwiefern sie diesen erreichen können. Auch die Frage, ob zum Beispiel im Haushalt lebende Kinder vor den Auswirkungen von Sanktionen ausreichend geschützt sind, findet im Fragenkatalog Berücksichtigung. Im Jahr 2017 wurden laut BA-Statistik monatlich knapp 46.000 Hartz-IV-Bezieher mit Kindern sanktioniert (O-Ton berichtete). Für Erwerbslosenvereine wie Tacheles e.V. ist die Wirksamkeit von Sanktionen nicht gegeben. In einer Pressemitteilung des Vereins heißt es dazu: „Sanktionen führen nicht in die nachhaltige Arbeitsmarktintegration. […] Sie entziehen den Betroffenen ihre Existenzgrundlage, was drastische Folgen hat: Obdachlosigkeit oder die Bedrohung durch Obdachlosigkeit, Stromsperren, Schulden oder und oft auch den Verlust der Krankenversicherung.“
Wirksamkeit von Sanktionen ist nicht eindeutig nachweisbar
Bisherige wissenschaftliche Untersuchungen von Sanktionen kommen zu verschiedenen Ergebnissen: Quantitative Studien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) deuten darauf hin, dass sanktionierte Hartz-IV-Bezieher schneller Arbeit aufnehmen. Mehrere qualitative Studien zeigten hingegen, dass Sanktionen die Lebenssituation von Hartz-IV-Beziehern eher destabilisieren als verbessern (O-Ton berichtete).
Kürzungen von zehn bis 100 Prozent
Im August 2018 lag die Leistungskürzung bei rund 109 Euro im Monat, was etwa einem Fünftel der Gesamtleistung entsprach. Die Leistungskürzungen im SGB II ergeben sich aus dem Grundsatz, dass erwerbsfähige Hartz-IV-Empfänger an der Beendigung ihres Leistungsbezugs aktiv mitwirken müssen. Dazu müssen sie zum Beispiel jedes zumutbare Arbeitsangebot annehmen, an Ein-Euro-Jobs oder anderen Maßnahmen teilnehmen und zu allen Terminen beim Jobcenter erscheinen. Meldeversäumnisse werden mit einer Leistungskürzung um je zehn Prozent des Grundbedarfs bestraft, während sogenannte Pflichtverletzungen mit Kürzungen von 30 bis 60 Prozent geahndet werden. Eine komplette Streichung des Regelsatzes ist für über 25-jährige Hartz-IV-Bezieher bei der dritten Pflichtverletzung vorgesehen. Diese schärferen Sanktionen für unter 25-Jährige sind besonders umstritten.
von Lena Becher
Zum Weiterlesen:
O-Ton Arbeitsmarkt, Hartz IV: Hohe Erfolgsquoten bei Widersprüchen und Klagen, 10.01.2019.
O-Ton Arbeitsmarkt, Hartz-IV-Sanktionen machen auch vor Kindern nicht Halt, 04.06.2018.