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Die Unterdeckung wächst: Hartz-IV-Empfänger zahlen bei Wohnkosten 627 Millionen Euro drauf

Wenn das Jobcenter die Wohnkosten als unangemessen betrachtet, müssen Hartz-IV-Empfänger umziehen – oder einen Teil ihrer Wohnkosten aus ihrem Grundbedarf decken. Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit zeigt: Bei den Wohnkosten von Hartz-IV-Empfängern konnten die Jobcenter auf diese Weise im gesamten letzten Jahr knapp 627 Millionen Euro sparen.

Im August 2018 erhielten über drei Millionen Haushalte in Deutschland Hartz-IV-Leistungen zur Deckung ihrer Wohnkosten. Denn für Haushalte im Hartz-IV-Bezug übernehmen die Jobcenter Miete, Betriebs- und Heizkosten, die so genannten Kosten der Unterkunft (KdU). Das allerdings nur bis zu einer „angemessenen“ Obergrenze, die von der jeweiligen Kommune in Orientierung an günstigen Mieten des örtlichen Mietspiegels bestimmt wird (O-Ton berichtete).

Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigen aber, dass die Obergrenze für angemessene Wohnkosten an der Lebensrealität vieler Hartz-IV-Empfänger vorbeigeht und gleichzeitig zu erheblichen Einsparungen auf der Seite der Jobcenter führt: Von Januar bis Dezember 2017 summierte sich die Lücke zwischen den anerkannten und den tatsächlichen Kosten der Unterkunft aller in Deutschland lebenden Hartz-IV-Empfänger auf knapp 627 Millionen Euro. Verglichen mit dem Vorjahr ist die Unterdeckung der tatsächlichen Wohnkosten um rund 25 Millionen Euro gestiegen, obwohl insgesamt weniger Haushalte Hartz IV bezogen.

Die Annäherung zwischen tatsächlichen und anerkannten Wohnkosten im Jahr 2016 wurde somit wieder zunichtegemacht. 2016 gab es eine Anhebung der Wohngeldsätze, die sich nach Einschätzung von Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Stefan Sell auch auf die Bedürftigkeit von Haushalten in der Grundsicherung auswirkte. Zuletzt betrug die Differenz rund 50,7 Millionen Euro (August 2018, Werte nur mit Wartezeit verfügbar).

Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Darstellung O-Ton Arbeitsmarkt.

Dadurch wird faktisch das eng bemessene soziokulturelle Existenzminimum der Empfänger von Hartz-IV-Leistungen angegriffen. Denn nicht anerkannte Wohnkosten müssen Hartz-IV-Empfänger aus dem Teil der Leistungen decken, der eigentlich für die Grundbedarfe des täglichen Lebens gedacht ist. Hierzu zählen vor allem Ausgaben für Lebensmittel oder Kleidung, aber auch Ausgaben, die der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben dienen sollen. Für einen Ein-Personen-Haushalt lag 2017 die Lücke zwischen anerkannten und tatsächlichen Wohnkosten bei durchschnittlich 14,54 Euro pro Monat. Im gesamten Jahresverlauf wuchs aus dieser Lücke für eine alleinstehende Person im Hartz-IV-Bezug somit rechnerisch ein Betrag von 174,45 Euro an.

Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Darstellung O-Ton Arbeitsmarkt.

Streit um Angemessenheitsgrenzen

Die Obergrenzen für angemessenen Wohnraum stehen nicht nur wegen ihrer offenbar unzureichenden Höhe, sondern auch wegen ihrer regional sehr unterschiedlichen Festlegung in der Kritik. Aus einem Forschungsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aus dem Jahr 2016 geht hervor, dass in schätzungsweise drei Viertel der Kommunen ein „schlüssiges Konzept“ zur Ermittlung der Obergrenzen verwendet wurde. Die restlichen Kommunen orientieren sich fast ausschließlich an der Höchstbetragstabelle für das Wohngeld, wobei die Jobcenter dabei in der Regel einen Puffer von zehn Prozent auf diese Höchstbeträge aufschlagen. Aufgrund der verschiedenen Berechnungsgrundlagen ergeben sich komplizierte und schwer miteinander vergleichbare Konzepte, die keinen einheitlichen Wohnstandard für Hartz-IV-Bezieher erkennen lassen.

von Lena Becher

 

 

Zum Weiterlesen:

Bundesagentur für Arbeit, Wohn- und Kostensituation – Deutschland, West/Ost, Länder, Kreise und Jobcenter (Monatszahlen), Januar 2015 – August 2018.

 Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.), 2016, Ermittlung der existenzsichernden Bedarfe für die Kosten der Unterkunft und Heizung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Harald Thomé, Richtlinien zu Unterkunft, Heizung, Warmwasser und Wohnraumsicherung.

Bild: Colourbox.de