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Geringere Arbeitslosenunterstützung erhöht die Arbeitsmotivation? Forscher der Universität Edinburgh widerlegen These der „Hartz“-Reformen

(o-ton) Je weniger finanzielle Unterstützung ein Arbeitsloser erhält, desto mehr bemüht er sich, Arbeit zu finden. Auf Basis dieser These senkten die „Hartz“-Reformen die Leistungshöhe in der Grundsicherung. Eine Studie der Universität Edinburgh widerlegt diese mikroökomische Denkweise nun. Arbeitslosigkeit wirke sich grundsätzlich negativ auf die Lebenszufriedenheit der Betroffenen aus. Die Höhe der finanziellen staatlichen Unterstützung habe keinen Einfluss auf diesen Effekt. Unabhängig davon litten Arbeitslose in Deutschland EU-weit mit Abstand am stärksten unter ihrer Situation.

Eines der Hauptziele der „Hartz“-Reformen war die schnellere Vermittlung von Langzeitarbeitslosen und Sozialleistungsbeziehern in Arbeit. Das Prinzip des Förderns und Forderns umfasste insbesondere auch deutliche Kürzungen bei der Leistungshöhe. Sie sollten verhindern, dass sich Arbeitslose „zufrieden“ im Leistungsbezug einrichten und den Anreiz zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erhöhen. Eine Studie der Universität Edinburgh zeigt nun, dass diese mikroökonomische Anreizwirkung offenbar ins Leere läuft.

Der Sozialwissenschaftler Jan Eichhorn untersuchte den Zusammenhang zwischen der Höhe der Arbeitslosenunterstützung und der Lebenszufriedenheit von Menschen ohne Arbeit in der Europäischen Union und Norwegen und fand heraus: Es gibt keinen. „Die Höhe der staatlichen Lohnersatz- und Sozialleistungen hat keinen Einfluss darauf, wie stark die Arbeitslosigkeit die Lebenszufriedenheit der Betroffenen beeinträchtigt“, heißt es in der Studie.

So ermittelte der Forscher Staaten, die ihre Arbeitslosen mit vergleichsweise hohen finanziellen Leistungen unterstützen und in denen die Lebenszufriedenheit der Arbeitslosen stark unter der der Erwerbstätigen liegt (darunter Luxemburg und Finnland). Umgekehrt beobachtete Eichhorn allerdings auch Länder mit geringen Leistungshöhen und weniger deutlichen Abweichungen bei der Lebenszufriedenheit (zum Beispiel Rumänien und Polen).

Statt der Leistungshöhe wirkten sich allerdings vor allem kulturelle, aber auch demographische und ökonomische Faktoren auf das Wohlbefinden von Arbeitslosen aus. So sei die Lebenszufriedenheit von Arbeitslosen besonders in den Ländern niedrig, in denen proportional mehr ältere Menschen im Verhältnis zur Bevölkerung im Arbeitsalter leben und in Staaten mit einer hohen Inflation, resümiert Eichhorn.

Die Schlussfolgerung des Sozialwissenschaftlers: Arbeitslosigkeit würde grundsätzlich als Belastung für das persönliche Wohlbefinden wahrgenommen. Die These, dass höhere Leistungen den Leidensdruck und damit die Arbeitsmotivation verringern, sei nicht haltbar. Eichhorn appelliert daher an die Politik, Diskussionen über Erhöhungen oder Absenkungen von staatlichen Lohnersatz- und Sozialleistungen nicht mit Argumenten zur Arbeitsmotivation, Zufriedenheit und Wohlbefinden zu führen.

Lebenszufriedenheit Arbeitsloser in Deutschland besonders niedrig

Ein weiteres Ergebnis der Studie: Während sich Arbeitslosigkeit in allen betrachteten Staaten negativ auf die Lebenszufriedenheit der Betroffenen auswirkt, scheint der Effekt in Deutschland mit Abstand am größten. „In keinem anderen EU-Land ist der Unterschied zwischen der Lebenszufriedenheit der Erwerbstätigen und Arbeitslosen so ausgeprägt wie in Deutschland“, heißt es in dem Papier.

Die Studie nutzt Daten von Eurostat sowie aus der European Values Study 2011 (EVS). Die EVS beruht auf Umfragedaten. Die Befragten bewerteten ihre Lebenszufriedenheit auf einer Skala von 1 (unzufrieden) und 10 (voll zufrieden). Um andere Einflussfaktoren auszuschließen, wurden unter anderem auch Alters-, Geschlechts- Einkommens- und Bildungseffekte kontrolliert.

Zum Weiterlesen:

Eichhorn, Jan, The (Non-) Effect of Unemployment Benefits: Variations in the Effect of Unemployment on Life-Satisfaction Between EU Countries