26. Juni 2017
Die Koalitionsverträge der neuen Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben wenig Platz für das Thema Arbeitslosigkeit. In Nordrhein-Westfalen wird zudem die öffentlich geförderte Beschäftigung aufs Abstellgleis befördert. Stattdessen soll die Wirtschaftlichkeit und Effektivität der Förderungen für Arbeitslose geprüft werden. Dies dürfte arbeitsmarktferne Menschen besonders hart treffen.
Die neuen Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben ihre jeweiligen Koalitionsverträge veröffentlicht. In ihnen wird die Regierungsarbeit der nächsten Jahre festgelegt. Es zeigt sich: Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik spielt auf der Agenda der neuen Regierungen nur eine untergeordnete Rolle. Stattdessen steht in beiden Verträgen die Wirtschaftlichkeit von Arbeitsmarktprogrammen und Sozialleistungen im Vordergrund. Dies liegt wohl auch an den rückläufigen Arbeitslosenzahlen: Die Arbeitslosenquote ist im Mai 2017 in Nordrhein-Westfalen auf 7,4 Prozent gesunken, in Schleswig-Holstein auf 5,9 Prozent.
Fördermaßnahmen auf dem Prüfstand
So plant die neue schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, bestehende Förderungen und Programme für Arbeitslose „hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit, Passgenauigkeit sowie der Frage der erfolgreichen Integration und Teilhabe“ zu überprüfen. Stehen die ohnehin stetig sinkenden Förderungen der Jobcenter und Agenturen für Arbeit (BA) auf dem Prüfstand, bedeutet dies in der Praxis voraussichtlich einen weiteren Rückgang der Förderbereitschaft.
Auch im Koalitionsvertrag der schwarz-gelb-grünen Regierungskoalition Schleswig-Holstein findet sich keine Ausweitung der Fördermittel zur Verringerung von Arbeitslosigkeit. Denn die neue Landesregierung will verstärk auf bereits existierende Förderprogramme wie z.B. Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) setzen. Zielgruppe unter den Arbeitslosen sollen dabei vor allem Jugendliche ohne Abschluss, Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge sein.
Kein Platz für öffentlich geförderte Beschäftigung in NRW
Auffällig ist auch, dass die neue Landesregierung in Nordrhein-Westfalen den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt, also zu ungeförderter Beschäftigung, priorisieren will. Für die Arbeitslosen, denen eine Arbeitsaufnahme aufgrund mehrerer sogenannter Vermittlungshemmnisse besonders schwerfällt, sollen die Fördermittel „gebündelt“ eingesetzt werden. Mögliche Vermittlungshemmnisse sind z.B. gesundheitliche Einschränkungen, Langzeitarbeitslosigkeit, fehlende Qualifikation oder hohes Alter. Es ist allerdings mehr als zweifelhaft, ob die Aufnahme einer ungeförderten Beschäftigung auf diesem Wege für besonders arbeitsmarktferne Personen erreichbar ist. Die Zielgruppe für öffentlich geförderte Beschäftigung ist jedoch in Nordrhein-Westfalen eindeutig vorhanden: Über 42 Prozent der Arbeitslosen in diesem Bundeslang sind langzeitarbeitslos. Nordrhein-Westfalen liegt damit deutlich über dem bundesdeutschen Durchschnitt.
Erstes Signal: Massive Kürzung im Modellprojekt Sozialer Arbeitsmarkt
Ein Vorgeschmack auf die Arbeitsmarktpolitik der schwarz-gelben Regierungskoalition: Wie die Westdeutsche Allgemeine Zeitung am 23.06.2017 berichtete hat das Arbeitsministerium bereits vor der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags das Modellprojekt „Sozialer Arbeitsmarkt“ massiv gekürzt. In vier Ruhrgebietsstädten sollten hier eigentlich öffentlich geförderte Arbeitsstellen für Langzeitarbeitslose entstehen. In Duisburg hat das zuständige Ministerium bereits reagiert und die eigentlich geplanten 11,58 Millionen Euro Projektmittel um 54 Prozent gekürzt. Somit können hier anstelle von 200 nun nur noch maximal 80 Langzeitarbeitslose gefördert werden – sofern die neue Landesregierung diese Mittel überhaupt beschließt.
Fokus auf Beschäftigten, Arbeitslose im Abseits
Stattdessen richtet sich der schwarz-gelbe Entwurf der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik für Nordrhein-Westfalen nach der Erleichterung und dem Ausbau von Beschäftigung aus. So möchte die neue Landesregierung über Bundesratsinitiativen die Weiterbildung von Beschäftigten erleichtern sowie eine Anpassung und Ausweitung der Einkommens- und Anrechnungsgrenzen, vor allem im Übergang Mini- zu Midijob, erreichen. Für die knapp 300.000 Langzeitarbeitslosen (Mai 2017, Statistik der BA) gehen diese Ziele wohl aber an ihrer Lebensrealität vorbei.
Im Gegensatz dazu spricht sich die neue Regierungskoalition in Kiel für einen Erhalt der öffentlich geförderten Beschäftigung aus: „Für Menschen, für die die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt nahezu unmöglich ist, sollte es eine öffentlich finanzierte Beschäftigung geben.“ Aber auch in Schleswig-Holstein wird der Qualifizierung von Arbeitslosen seitens der neuen Landesregierung Aufmerksamkeit geschenkt. So möchte die Regierungskoalition auf die Anforderungen einer digitalisierten Arbeitswelt reagieren.
Schleswig-Holstein will „Zukunftslabor“ für Sozialleistungen
Auch beabsichtig die Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein, ein „Zukunftslabor“ einzurichten. Dieses soll ein Forum sein für alternative Ideen der sozialen Grundsicherung. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „[Hier sollen] Umsetzbarkeit neuer Absicherungsmodelle, z.B. ein Bürgergeld, ein Grundeinkommen oder die Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme, diskutiert und bewertet werden […].“
von Lena Becher
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