25. Juni 2012
(o-ton) Sinkende Arbeitslosenzahlen rechtfertigen Kürzungen bei der Arbeitsmarktpolitik, so der Tenor der Bundesregierung gegenüber Kritik an den massiven Einsparungen. Grundsätzlich logisch, doch auch das Pro-Kopf-Budget schrumpft. Bei einem deutlich höheren Vermittlungsaufwand für die verbleibenden nicht erwerbstätigen Hartz IV-Bezieher ist das höchst problematisch.
In den letzten Jahren hat die Bundesregierung ihr Budget für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen bei Personen in der Grundsicherung („Hartz IV“) kontinuierlich reduziert. Gemeinsam mit den gesondert aufgelegten Bundesprogrammen standen 2006 etwa 6,7 Milliarden Euro Fördermittel zur Verfügung, 2011 waren es nur noch 5,3 Milliarden und für 2012 sieht der Finanzplan des Bundes 4,4 Milliarden Euro vor. Im Vergleich zu 2006 entspricht das einem Rückgang um 2,3 Milliarden Euro beziehungsweise rund 35 Prozent.
Eine nur folgerichtige Anpassung der Ausgaben, so die Bundesregierung, denn die Arbeitslosenzahlen sind parallel deutlich gesunken. Das zur Verfügung stehende Pro-Kopf-Budget liege heute (2011) sogar höher als vor der Wirtschaftskrise, so Arbeitsministerin von der Leyen bei einer Regierungsbefragung zur Instrumentenreform im Mai 2011. Parteikollege und Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales Karl Schiewerling konkretisiert: „2011 gibt es geschätzt 2,1 Millionen Arbeitslose im SGB-II-Bereich. Die Pro-Kopf-Ausgaben liegen bei 2 524 Euro. 2006 gab es 2,8 Millionen Langzeitarbeitslose. Damals wurden pro Kopf 1 643 Euro ausgegeben. Das sind die Zahlen.“, so der CDU-Abgeordnete bei einer Bundestagsdiskussion zur Instrumentenreform (Auszug aus der Debatte, Bild rechts). Tatsächlich?
Pro-Kopf-Budget für erwerbsfähige Leistungsberechtigte 2011: 1.148 Euro
Zur Klarstellung: Gemäß §14 SGB II richten sich Leistungen zur Eingliederung in Arbeit an alle erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. Einer Berechnung von Pro-Kopf-Beträgen muss also diese Personengruppe zugrunde liegen.
Das Budget für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im Bereich der Grundsicherung lag 2011 bei 5,3 Milliarden Euro. Verteilt auf etwa 4,6 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte entfielen damit auf den Einzelnen 1.148 Euro, wie das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) errechnet hat. Grundlage sind offizielle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit und des Finanzministeriums. Im Vorkrisenjahr 2008 waren es noch 1.325 Euro (circa 6,6 Milliarden Euro bei fünf Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten), 177 Euro mehr als in 2011 und nicht weniger, wie es bei Frau von der Leyen heißt. Für 2012 ist zudem ein weiterer Rückgang zu erwarten. Bei einem aktuellen Jahresdurchschnitt von etwa 4,5 Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten liegt das Pro-Kopf-Budget bei nur noch 977 Euro und damit 348 Euro unter dem Wert aus 2008.
Noch irritierender sind die Angaben des Abgeordneten Schiewerling. Das tatsächliche Pro-Kopf-Budget von 1.148 Euro in 2011 unterschreitet seine Angabe um ganze 1.376 Euro. Und auch die 2006er-Zahlen stimmen nicht. Bei etwa 6,7 Milliarden zur Verfügung stehenden Mitteln und rund 5,4 Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten lag das Pro-Kopf-Budget damals bei 1.249 und nicht bei 1.643 Euro.
Der Regierungsvertreter bezieht sich offensichtlich auf die falsche Zielgruppe der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit. Er legt nur die offiziell Arbeitslosen im SGB II-System zugrunde (für die der Betrag von 2.524 Euro in 2011 zutreffen würde) und nicht die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, deren Zahl mehr als doppelt so hoch ist und für die das Pro-Kopf-Budget entsprechend bei 1.148 Euro liegt.
Wie der Betrag von 1.643 Euro für das Jahr 2006 zustande kommt, ist jedoch ein Rätsel, selbst wenn man mit der falschen Referenzgruppe der Arbeitslosen im SGB II rechnet. Bei circa 6,7 Milliarden Euro für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und etwa 2,8 Millionen Arbeitslosen im Hartz IV-System ergibt sich ein damaliges Pro-Kopf-Budget nur für die Arbeitslosen im Hartz IV-System von etwa 2.390 Euro.
Entgegen der Aussagen von Regierungsseite bleibt also festzuhalten: Seit 2010 sinkt das Pro-Kopf-Budget für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von erwerbsfähigen Hartz IV-Empfängern. Selbst wenn man, wie der CDU-Abgeordnete Schiewerling, nur die offiziell Arbeitslosen in der Grundsicherung betrachtet, trifft dies zu. Und auch vor der Wirtschaftskrise standen für den Einzelnen mehr Mittel zur Verfügung.
Eine bedenkliche Entwicklung, denn die Bundesagentur für Arbeit selbst verweist auf den hohen Betreuungsaufwand der „übrig bleibenden“ Arbeitslosen: „Der Anteil der besser qualifizierten und jüngeren Arbeitslosen mit hohen Abgangsraten [aus Arbeitslosigkeit] wird tendenziell ab- und der Anteil der Menschen mit schwierigen individuellen Problemlagen und schlechteren Integrationschancen wird eher zunehmen. Jeder weitere Abbau der Arbeitslosigkeit geht dann mit einem immer höheren individuellen Aktivierungsbedarf einher.“ Kurz gesagt: Sinkende Arbeitslosenzahlen rechtfertigen zwar durchaus Kürzungen der Gesamtmittel, nicht aber ein geringeres Pro-Kopf-Niveau, denn der Vermittlungsaufwand ist bei den verbleibenden Arbeitslosen ein deutlich höherer.
Zum Weiterlesen:
Bundesagentur für Arbeit, Strukturen der Arbeitslosigkeit
Bundesagentur für Arbeit, Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland (Mai 2012)