15. Februar 2017
Mit zwei Sonderprogrammen will Arbeitsministerin Nahles bestimmte Langzeitarbeitslose besonders fördern. Ein erster Zwischenbericht der Evaluation von „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ zeigt jetzt: Die eng gefasste Zielgruppe wird nur bedingt erreicht, denn offenbar interpretieren die Jobcenter die Auswahlkriterien sehr frei.
Langzeitarbeitslose und -bezieher von Hartz-IV-Leistungen sind eine der größten Problemgruppen am deutschen Arbeitsmarkt. Arbeitsministerin Andrea Nahles hat deshalb zwei Sonderprogramme aufgelegt, mit denen die Betroffenen besonders gefördert werden sollen – zumindest Teilgruppen von ihnen.
Das ESF-Bundesprogramm zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit nimmt Personen mit mindestens zwei Jahren andauernder Arbeitslosigkeit in den Fokus, die älter als 35 Jahre sind und über keinen oder keinen verwertbaren Berufsabschluss verfügen. Eine Intensivförderung gibt es für Personen mit mindestens fünfjähriger Arbeitslosigkeit, die zusätzlich noch ein „weiteres in ihrer Person liegendes Vermittlungshemmnis (z. B. gesundheitliche Einschränkungen, keinen Schulabschluss, über 50 Jahre, mangelnde deutsche Sprachkenntnisse) aufweisen“. Betrieben werden degressive gestaltete Lohnkostenzuschüsse gezahlt, wenn sie diese Menschen beschäftigen. 33.000 Betroffene sollen teilnehmen.
Das Programm Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt richtet sich an Über-35-Jährige, die seit mindestens vier Jahren Hartz-IV-Leistungen beziehen und in dieser Zeit nicht oder nur kurz selbstständig oder abhängig beschäftigt waren. Zusätzlich müssen sie gesundheitliche Probleme aufweisen und/oder mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt leben. Im Unterschied zum ESF-Programm wird der Lohn auf Mindestlohn-Niveau zu 100 Prozent übernommen. Die Arbeitsstellen bei arbeitsmarktpolitischen Trägern oder in der freien Wirtschaft sind zudem sozialversicherungspflichtig. 20.000 Menschen sollen teilnehmen.
Das BMAS begründet seine spezielle Auswahl mit dem besonderen Förderbedarf dieser Gruppen. Für Soziale Teilhabe gelte: Gerade gesundheitliche Einschränkungen können ein gravierendes Hemmnis bei der Arbeitsmarktintegration darstellen und umgekehrt auch das Fehlen von Arbeit zu einer Verschlechterung der Gesundheit führen. Bei der Förderung von Bedarfsgemeinschaften mit Kindern erreiche man nicht nur die Langzeitarbeitslosen selbst, sondern zugleich die Kinder.
Auslese der „guten“ Hartz-IV-Bezieher scheint schwierig
Neben dem besonderen Förderbedarf haben die beiden Gruppen aber noch eins gemeinsam: Man unterstellt ihnen, im Gegensatz zu den meisten anderen Langzeitarbeitslosen oder Langzeitleistungsempfängern, keine eigene Schuld an ihrer Lage. Und so liegt die Vermutung nahe, dass hinter der Auswahl von Kranken und Hartz-IV-Beziehern mit Kindern auch die Überlegung steckt, dass nur bei diesen beiden Gruppen eine so großzügige finanzielle Förderung öffentlich zu rechtfertigen ist – vor allem gegenüber den regulären Arbeitnehmern, die ebenfalls nur auf Mindestlohn-Niveau verdienen.
Doch in der Umsetzung scheint die Auslese der „guten“ Langzeit-Hartz-IV-Bezieher nicht ganz so einfach zu sein. Das geht aus den ersten Ergebnissen der Evaluation des Programms Soziale Teilhabe hervor: Von 8.111 Teilnehmern, die die Forscher untersuchten, waren bei mehr als der Hälfte „die Zuteilungskriterien gesundheitliche Einschränkungen und/oder minderjährige Kinder in der Bedarfsgemeinschaft nicht erfüllt.“ Nur 30,5 Prozent der Teilnehmer hatten gesundheitliche Einschränkungen, 46,4 Prozent lebten mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt.
„Beide Werte (Gesundheitszustand und Kinder) scheinen angesichts der Fokussierung des Bundesprogramms vergleichsweise niedrig zu sein“, resümieren die Forscher. Während die Angaben zu den Kindern valide sein müssen, weil davon die Höhe des Leistungsanspruchs abhängt, wollen die evaluierenden Institute im Rahmen der weiteren Untersuchungen durch Befragungen überprüfen, ob die genutzten Geschäftsdaten der Bundesagentur für Arbeit (BA) den Gesundheitszustand der Teilnehmer möglicherweise nicht genau wiedergeben. Erfasst wird dieser durch die Mitarbeiter in den Jobcentern, die bei gesundheitlichen Einschränkungen ein Feld in der BA-Software anklicken oder den Grad der Behinderung erfassen müssen. Kein komplizierter Vorgang mit großem Aufwand.
Wahrscheinlicher ist daher, dass das Kriterium „gesundheitliche Einschränkungen“ sehr frei interpretiert wird, um die Plätze im Programm zu füllen. Auch aus der Interpretation der Evaluierenden klingt das heraus. Der Programmzuweisung könnten „andere Kriterien insbesondere zur Bewertung gesundheitlicher Einschränkungen zugrunde gelegt“ werden. Nachdem Soziale Teilhabe im Juni 2016 noch einmal um 10.000 aufgestockt wurde (O-Ton berichtete), sind aktuell (Januar 2017) erst 41 Prozent der möglichen Teilnehmerzahl von 20.000 Personen bis 2018 erreicht.
Größtes Hemmnis: Der Langzeitbezug selbst
Während es offenbar schwierig ist, genügend Teilnehmer mit gesundheitlichen Einschränkungen oder minderjährigen Kindern zu finden, wird ein anderes Auswahlkriterium deutlich übererfüllt: Der dauerhafte Leistungsbezug. Im Durchschnitt waren die Teilnehmer 8,6 der letzten zehn Jahre im Hartz-IV-Bezug und damit deutlich länger als die vorgegebenen vier Jahre. Der dauerhafte Leistungsbezug selbst scheint also das größte Problem der Betroffenen zu sein und eines der größten Hemmnisse auf dem Arbeitsmarkt und bei der Überwindung der Hilfebedürftigkeit.
Statt Sonderprogrammen für lediglich eine kleine Auswahl der vielen Betroffenen im Hartz-IV-System, erscheint eine für alle offene Förderung, bei der Teilnehmer nicht aufwendig passend konstruiert werden müssen und lediglich die Dauer des Leistungsbezugs relevant ist, sehr viel sinnvoller.
Zum Weiterlesen:
Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Evaluation des Bundesprogramms „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ – Erster Zwischenbericht
Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bekanntmachung Förderrichtlinie für das Bundesprogramm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ vom 29. April 2015