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Warum Langzeitarbeitslose der Demokratie den Rücken kehren

amnews-2-300x190Ein Leben unter dem Existenzminimum führt zu Ausgrenzung – nicht nur gesellschaftlich, sondern auch politisch. Das zeigt eine nun erschienene Studie, die die Lebenswelt und das Wahlverhalten von Langzeitarbeitslosen untersucht.

Am 11. September präsentierte der Evangelische Fachverband für Arbeit und Soziale Integration (EFAS) die Ergebnisse der Studie „Unerhört! Langzeitarbeitslose Nichtwähler melden sich zu Wort!“, die den Zusammenhang zwischen materieller, sozialer und politischer Teilhabe von Langzeitarbeitslosen beleuchtet. Die Studie zeigt, dass sich Langzeitarbeitslose aufgrund von Armut und fehlender sozialer Teilhabe von gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen abwenden und zu „Totalverweigerern“ im politischen System werden.

Gerade bei dauerhafter Arbeitslosigkeit und Abhängigkeit von Hartz-IV-Leistungen verfestigen sich nicht nur materielle Armut, sondern auch Ausgrenzungserfahrungen und Scham der Betroffenen. Daraus resultiere ein Vertrauensverlust an politische Institutionen und Parteien. Michael Bammessel, Präsident des Diakonischen Werks Bayern beschreibt diesen Prozess so: „Wenn eine große Gruppe in unserer Gesellschaft im Gang zur Wahlurne keinen Sinn mehr sieht, dann steht dahinter eine tief greifende Lebenserfahrung: Wir zählen nicht, wir können ohnehin nichts erreichen, auf uns kommt es sowieso nicht mehr an, wir gehören eigentlich nicht mehr dazu.“

Frust und Ausgrenzung als Teufelskreis

Dass diese Ablehnungserfahrungen von Langzeitarbeitslosen in der Gesellschaft tief verwurzelt sind, wurde zuletzt durch die Ergebnisse der Mitte-Studie belegt. Laut den Ergebnissen dieser Studie habe nahezu jeder Zweite in Deutschland eine negative Meinung über Langzeitarbeitslose. Soziologe Prof. Franz Schultheis, Leiter der Studie, kritisierte bei der Vorstellung der Studie „Unerhört!“, dass das bestehende Hartz-IV-System Langzeitarbeitslose nicht in die Gesellschaft integriere, sondern noch weiter ausgrenze: „Für die betroffenen Menschen ist es schwierig, ihre Situation zu verbessern, weil sie in mehrfacher Hinsicht ohne Ressourcen sind, um sich bemerkbar zu machen.“

Eine Gefahr für die Demokratie

Schultheis warnt davor, dass Langzeitarbeitslose sich nicht nur auf dem Wege der Nichtwahl vom bestehenden politischen System abkapseln, sondern ihrem Frust auch durch die Wahl von rechtsextremen Parteien und Populisten Ausdruck verleihen. Politikverdrossenheit und das Gefühl, im demokratischen System ohnmächtig zu sein, zeige sich bei Langzeitarbeitslosen „wie unter einem Brennglas“, so Schultheis.

Langzeitarbeitslose befragten Langzeitarbeitslose

Für die Studie wurden über 70 Langzeitarbeitslose befragt. Anstelle einer repräsentativen Umfrage wurde auf eine Methode gesetzt, die besonders tiefe Einblicke in die Lebenswelt von Langzeitarbeitslosen ermöglichen sollte: Die Interviews wurden unter wissenschaftlicher Begleitung von Prof. Schultheis von Langzeitarbeitslosen geführt. Auf diesem Wege wollten die Autoren der Studie Gespräche auf Augenhöhe ermöglichen.

Die nun erschienene Studie ist ein Nachfolger der im Jahr 2017 erschienenen Studie „Gib mir was, was ich wählen kann“. Während in der ersten Studie die Motive von langzeitarbeitslosen Nichtwählern im Vordergrund standen, untersucht die zweite Studie die Lebensumstände von Langzeitarbeitslosen und ihre empfundene materielle, soziale und politische Teilhabe.

von Lena Becher



Zum Weiterlesen:

Informationen zur Studie „Unerhört! Langzeitarbeitslose Nichtwähler melden sich zu Wort!“  finden Sie auf der Website der Studien.

O-Ton Arbeitsmarkt, Mitte-Studie belegt zunehmend abwertende Einstellung gegenüber Langzeitarbeitslosen, 26.04.2019.

O-Ton Arbeitsmarkt, Evangelische Beschäftigungsbetriebe kritisieren soziale Spaltung an der Wahlurne, 23.11.2017.

O-Ton Arbeitsmarkt, Demokratie ohne Langzeitarbeitslose? Studie untersucht Motive langzeitarbeitsloser Nichtwähler, 14.08.2017.